Drachenland: Roman (German Edition)
die Krönungsfeier beendet ist«, sagte sie warnend, »und sprich mit niemandem über das, was du gesehen hast.« Der Bote nickte und ging.
Evirae drehte sich langsam um und herrschte Mesor zornig an: »Warum hast du das nicht vorausgesehen?«
Mesor spreizte die Hände. »Wie denn?«
Evirae schritt aufgebracht durchs Zimmer. »Bis ich den Rubin trage, ist Falkenwind immer noch König! Sollte er vorher zurückkehren, so wird er die Entscheidung der Familie anfechten! Wir müssen uns beeilen, Mesor! Wir dürfen nicht länger warten! Die Prozession muss sofort beginnen!«
»Geratet nicht in Panik«, erwiderte Mesor. »Habt Ihr nicht selbst gesagt, dass die Krönung nur noch Formsache ist?«
Evirae kickte die Fingerschale über den kostbaren Fußboden. »Dummkopf! Glaubst du alles, was du hörst?«
Mesor suchte nach Worten, um Evirae davon zu überzeugen, dass sie nicht in Panik geraten durfte. Wenn sie jetzt etwas überstürzte, würde die Familie misstrauisch werden. »Nach dem Brauch«, sagte er, »sollt Ihr als Letzte eintreffen! Ihr könnt Euch nicht schon jetzt auf den Weg begeben, Königin! Was soll die Familie denken, wenn Ihr schon vorher am Podium seid?«
»Dummkopf! Hast du nicht zugehört? Falkenwind kommt! Was für eine Rolle spielt da schon das Protokoll?« Sie drehte sich um und verließ das Zimmer in einem Wirbel von Seide und Parfüm. Mesor seufzte und erhob sich, um ihr zu folgen, dann blieb er für einen Augenblick stehen und blickte durch das Fenster auf den Palast. Er sah die Kutschen der Familie auf ihre Insassen warten, und er sah die Menschen, die die breite Allee säumten. Er wusste, dass die Leute wankelmütig waren. Sie hatten ihre Untertanentreue auf Evirae verlagert, aber wenn Falkenwind die Fandoraner besiegte, könnten sie leicht wieder auf seine Seite überschwenken. Vielleicht hatte Evirae recht, und vielleicht fiel ihre Eile nicht allzu sehr auf.
Er stieg zu ihr in die schwarze Kutsche, die sich dann in flotter Gangart dem Monarchenmarsch näherte. »Da steckt Ephrion dahinter!«, murmelte Evirae. »Er hat die Krönungsfeier so lange hinausgezögert, dass Falkenwind genug Zeit hatte, zurückzukehren.« Sie schaute nervös aus dem Fenster und winkte den Leuten mechanisch zu. Viele waren schockiert, dass die Kutsche der Prinzessin den weniger bedeutenden Würdenträgern so hastig vorauseilte, aber das Geschwätz darüber war eine willkommene Ablenkung von den schrecklichen Nachrichten vom Kampfplatz.
Evirae packte ihren Sitz in der Kutsche mit beiden Händen. Obwohl die Jubelrufe draußen sie ein wenig trösteten, rechnete sie jeden Augenblick damit, einen Hengst die Straße heruntergaloppieren zu sehen, den dunkelhaarigen Bergmann im Sattel.
Der Rest der Prozession setzte sich kurze Zeit später in Bewegung. In einer großen weißen Kutsche saßen Tolchin und Alora, die aus dem Viertel der Kaufleute gekommen waren, um Ephrion zum Podium zu begleiten. Ephrion war ungewöhnlich schweigsam, und der Baron fasste das als Tadel auf. »Es gibt keine Alternative«, sagte er beschwichtigend. »Niemand aus der Familie findet beim Volk so viel Unterstützung wie Evirae. Wenn wir das erst hinter uns haben, Ephrion, unternehmen wir etwas wegen der Drachen.«
Ephrion antwortete nicht. Er öffnete das silberne Kästchen auf seinem Schoß und betrachtete den Rubin auf dem seidenen Kissen. Evirae konnte den Edelstein nicht wie Falkenwind auf der Stirn tragen wegen ihrer riesigen Frisur. Darum hatten die Goldschmiede des Palastes eine neue längere Kette angebracht, die Ephrion der Prinzessin um den Hals hängen konnte. Ephrion schloss den Kasten wieder und seufzte.
Als die Prozession ankam, war Evirae bereits da und klopfte mit dem Fuß nervös auf den schimmernden Boden des Podiums. Leute, die früh gekommen waren, um gut sehen zu können, betrachteten sie belustigt oder verärgert – oder auch belustigt und verärgert – wegen dieses Verstoßes gegen die Vorschriften. Der Chor, der das Ganze mit Gesang begleiten sollte, hatte unsicher ein Lied angestimmt, als Evirae eintraf, und war dann nach und nach wieder verstummt, als es offensichtlich wurde, dass sie zu früh gekommen war. In ihrer Eile hatte Evirae vergessen, dass die Krönung ohne Ephrion nicht stattfinden konnte.
Endlich fuhr die große weiße Kutsche des Altkönigs vor dem Podium vor. Der Chor stimmte erneut ein wortloses Lied an, a cappella, eine rhythmische Folge von Klängen, die dem Ereignis angemessen schienen.
Die
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