Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert
Ein
verschwörerischer Ausdruck glitt über das Gesicht ihrer
Freundin. »Wir treffen uns in vier Stunden an der Kreuzung
hinter dem Markt und gehen dann zurück, um Raist abzuholen.
In Ordnung?«
Gilon, der den Mund voll Suppe hatte, konnte nur nicken
und sie mit einer Handbewegung verabschieden.
»Mmmm, Gaukler. Na schön, dann machen wir uns mal auf
die Suche nach diesen aufregenden Wesen«, neckte Aurelie,
die Gilon noch über die Schulter anlächelte, während die zwei
Mädchen Arm in Arm abzogen.
Sie waren noch nicht sehr weit lachend durch die Menge
gebummelt, als eine andere bekannte Stimme sie aufhielt.
»Aurelie! Wir wollten uns doch schon vor einer Stunde am
Stand des Kleiderhändlers treffen.« Vor den beiden
Freundinnen stand Aurelies Mutter, die Hände in die Hüften
gestemmt.
Sie war eine einfache Frau mit braunem, welligem Haar und
hängenden Mundwinkeln. Die Tochter trug Spitzen, die Mutter
hingegen gewöhnlich schlichte Kittel.
Wie so oft, wenn sie Aurelies Mutter traf, dachte Kit, daß
ihre beste Freundin ihr Aussehen bestimmt vom Vater geerbt
hatte. Ihr Vater arbeitete hart, hatte ein faltenreiches, aber
schönes Gesicht und immer strahlende Augen.
»Ach, hallo, Kitiara.«
Kit entging der kühle Ton nicht. Aurelies Mutter hatte die
Freundschaft ihrer Tochter mit Kit noch nie gutheißen können,
der Tochter »dieses verantwortungslosen Kriegers und seiner
armen, verrückten Frau – die er sitzengelassen hat.«
Aurelie zuckte mit den Achseln und zwinkerte Kit fast
unwahrnehmbar zu, bevor sie daran ging, ihre Mutter zu
besänftigen. Sie nahm die Frau am Ellenbogen und begann, sie
durch die Marktbesucher zum Stand des Kleiderhändlers zu
schieben. »Ich war gerade auf dem Weg zu dir, Mutter, aber da
haben Kit und ich Minna getroffen. Du weißt ja, was das für
eine Tratschtante ist, aber du hast mir schließlich beigebracht,
niemals unhöflich zu Erwachsenen zu sein. Jedenfalls… «
Als sie außer Hörweite von Kit waren, drehte sich Aurelie
um und winkte Kit entschuldigend zu.
Jetzt war diese für den Rest des Tages allein. Auch gut. Kit
hatte so selten Zeit für sich.
Kit ließ den Lärm und die Massen auf dem Markt hinter sich
und trieb auf das große Lager zu, wo Hunderte von Besuchern,
die extra für dieses Ereignis nach Solace gekommen waren,
ihre Unterkunft hatten. Der grasbewachsene Platz war mit
Zelten, Vorzelten, Wohnwagen, Schlafdecken und
Hängematten übersät. Gruppenweise standen die Leute
zusammen, redeten und lachten laut und teilten Essen und
Trinken – Trödler und Kaufleute, Barden auf Wanderschaft,
ehrliche wie unehrliche Händler, Illusionisten, Schwätzer und
gelegentlich ein Krieger, der nur der dicksten Geldbörse treu
war.
Kit wich einem hageren Kleriker aus, der auf einem
Baumstumpf stand und jedem, der ihm zuhörte, lautstark von
der Allmacht der neuen Götter erzählte. Es hörten kaum Leute
zu, und Kitiara machte um Kleriker immer einen großen
Bogen.
Ziellos streifte sie in dem großen Lager herum, wobei sie die
Gesichter und Kleidung der Leute nach Hinweisen darauf
absuchte, wo sie wohl herkamen und wohin sie wollten.
Die Menschen hier waren für Kit interessanter als die Waren
und Vergnügungen auf dem Jahrmarkt. Sie merkte, daß sie in
einem Teil des Lagers gelandet war, wo mehr getrunken als
gegessen wurde, und wo die Besucher auf ihr Geld und ihr
Leben zu achten hatten – damit sie sich nicht mit gespaltenem
Schädel und leeren Taschen im Graben wiederfanden. Aber Kit
hatte selber leere Taschen und vertraute darauf, daß sie auch
mit schwierigen Situationen umgehen konnte. Notfalls konnte
sie immer noch davonrennen.
Kitiara wollte gerade umkehren, als ihr rauhes Lachen und
leises Streiten an die Ohren drang. Rechts von ihr entdeckte sie
zwischen zwei Vorratszelten vier eng beieinandersitzende
Männer, die hitzig redeten. Ihr sechster Sinn sagte ihr, sie solle
diese Unterhaltung unbedingt belauschen.
Um dichter heranzukommen, schlich sich Kit in das
Nachbarzelt, bis sie nur noch durch eine dünne Stoffplane von
der Gruppe getrennt war. Durch einen kleinen Riß konnte sie
erkennen, daß es vier Männer waren; dem Aussehen ihrer
Kleidung und ihrer Waffen nach handelte es sich um Söldner.
Einer von ihnen, den sie nur von der Seite sehen konnte, kam
ihr irgendwie bekannt vor.
»Ich sage, wir töten ihn nicht. Wir entführen ihn und lassen
ihn später gegen Lösegeld frei. Damit können wir doppelt
absahnen.«
»Nein! Vergiß das Lösegeld. Wir
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