Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert
unsichtbar war.
Kit sah Gilon an, der schweigend neben ihr stand. Er war
ganz anders als ihr richtiger Vater. Trotzdem und trotz der
Tatsache, daß Holzfällen ihr wenig imponierte und sie das
eintönige Leben von Gilon nicht mochte, gefiel es Kit, wie sich
ihr Stiefvater um die Zwillinge kümmerte. Und es gefiel ihr,
daß er nie versucht hatte, sie herumzukommandieren. Gilon
war alles in allem nicht völlig blöd.
Nach einem tiefen Seufzer sagte Kit mit gezierter Stimme,
indem sie die des Magiers nachahmte: »Teichgrund! Könnte
auch gleich Misthaufen heißen!«
Kit grinste Gilon verschmitzt an, und beide lachten los.
Es war ein herrlicher Tag. Die Umrisse der Bäume, die der
Winterwind kahlgeblasen hatte, waren bereits mit einem
zarten, reinen Grün belaubt. Kitiara und Gilon schwiegen
einträchtig, während sie auf den Marktplatz am Nordrand von
Solace zusteuerten. Zuerst hörten sie nur den Lärm, dann
kamen sie über einen kleinen Berg und sahen die strahlend
bunten Fahnen und Zelte.
Der Festplatz fing etwa eine Meile unterhalb des Hügels an,
auf dem sie jetzt standen, gleich an der Straße. Von dort aus
erstreckte er sich wie eine kleine Stadt. Es gab grasbewachsene
Promenaden, an denen Zelte und Stände anstelle von Häusern
standen. Dazwischen lagen immer wieder kleine, freie Plätze,
auf denen zahlreiche Vorstellungen stattfanden.
Als Kitiara und Gilon die Straße hinuntergingen, musterte
Kit die Menschen, die zum Markt kamen, denn sie hoffte
immer noch, einen Mann mit dunklen Locken zu sehen, der die
meisten anderen um einen Kopf überragte, und der beim
Anblick seiner Tochter nach all diesen Jahren vor väterlichem
Stolz strahlen würde.
Statt dessen entdeckte sie einen Magier in schwarzer Robe,
der durch die Menge glitt und leicht auszumachen war, weil die
Leute ihm so schnell auswichen. Sie sah eine Kenderfamilie,
deren Vater über einer Karte grübelte, während die Mutter stolz
ihr kleines Mädchen betrachtete. Kit lächelte in sich hinein, als
sie die Kleine beobachtete, die auf und ab hüpfte, bei jeder
neuen Entdeckung in die Hände klatschte und Steine und
Papierfetzen einsteckte – und hier und da ein paar glänzende
Nippsachen, ob sie nun jemandem gehörten oder nicht.
Von zahlreichen Ständen wehten Düfte herüber, die einem
das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Es war noch
nicht Mittagszeit, aber die morgendliche Wanderung hatte Kit
einen nagenden Hunger beschert. Ihr knurrender Magen lenkte
sie von dem ab, was sie sah und hörte. Sie blieb stehen und sah
in ihrem Sack nach, ob sich noch etwas Brot oder Käse darin
befand, und dabei merkte Kit, daß Gilon nicht mehr neben ihr
war. Eine Minute später tauchte er wieder auf. Er trug zwei
dampfende Schalen Ziegenfleischsuppe.
»Ich dachte, du bist vielleicht hungrig«, sagte Gilon einfach,
während er ihr eine Schale reichte. Kit lächelte ihn dankbar an.
Dann drängelten sie sich durch den Strom der Menschen zu
einer Bank im Schatten einer Eiche.
»Ich dachte mir schon, daß ich dich auf dem Markt finden
würde, aber ich hatte dich bei der Schwertkampfausstellung
erwartet, nicht faul im Schatten eines alten Baums.«
Die Stimme verriet gutmütigen Spott. Kit blickte über die
Schulter und entdeckte die wie üblich herausgeputzte Aurelie
in einem fließenden, zartbunten Kleid. Im letzten Jahr war ihr
Körper aufgeblüht, und sie war kein Mädchen mehr, sondern
schon fast eine junge Dame. So verschieden sie auch
voneinander waren, Kit freute sich immer, die Freundin zu
sehen.
»Hallo, Meister Majere«, sagte Aurelie mit niedlichem
Lächeln zu Gilon.
Kit sah zu, wie ihr Stiefvater etwas verlegen aufstand, weil
er offensichtlich von Aurelie bezaubert war, sich aber auch fehl
am Platze vorkam.
»Ahm, schön dich zu sehen, Aurelie«, sagte Gilon. »Soll ich
dir eine Schale Suppe holen?«
»Ach, nein, ich habe keinen Hunger«, sagte Aurelie, die
dabei ihre rotblonden Locken schüttelte. »Ich weiß nicht, wo
Kit das viele Essen hinsteckt, das sie vertilgt.«
»An dieselbe Stelle, wo du die Krapfen hinsteckst, die du dir
jeden Tag beim Bäcker holst«, murmelte Kit so leise, daß es
nur Aurelie hören konnte. Die beiden Mädchen fingen an zu
kichern, und Gilon schloß sich dem an; er hatte zwar den Witz
nicht richtig verstanden, aber er genoß die gute Laune.
Kit war mit ihrer Ziegensuppe fertig und stand auf.
»Aurelie und ich schauen uns mal nach ein paar, äh,
Gauklern um«, sagte Kit ohne Überleitung zu Gilon.
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