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Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert

Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert

Titel: Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Daniell
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kluge, durchdachte Antwort«, meinte der Zauberer
kurz. »Aber jetzt sag mir, wie definieren wir es in Abwesenheit
des Guten?«
    »Hm«, sagte Raist, »es kann einfach keine echte
Abwesenheit des Guten oder des Bösen geben. Das eine kann
nicht ohne das andere sein. Sie sind ständig in einer Art
Gleichgewicht, die ganze Zeit. Das eine kann mal überwiegen,
während das andere schläft, aber keins kann je wirklich
fehlen.«
»Kannst du dir kein Beispiel für das Böse vorstellen?« fragte
der Zaubermeister.
    »Kein reines Beispiel… außer natürlich den Göttern der
Finsternis«, fügte der Junge eilig hinzu.
Morat wirkte zufrieden. »Wie erkennen wir also das Böse?«
hakte er nach.
»Seine Masken sind unzählbar.«
»Aber ein Magier muß sich bemühen, das Böse zu erkennen
und zu entlarven, sowohl bei sich und seiner Zauberei als auch
bei anderen.«
»Ja«, stimmte Raist zu. »Man muß seine verschiedenen
Gestalten lernen. Mehr als alles andere« – er hielt inne, und
suchte nach den richtigen Worten – »lernt ein Magier, das Böse
zu erkennen. Wer die Weiße Robe trägt, erkennt es als
Gegensatz. Eine Schwarze Robe würde es als Verbündeten
ansehen.«
»Und eine Rote Robe?«
»Hmm«, meinte Raistlin mit erbärmlich dünner Stimme.
»Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, ich würde sagen, daß eine
Rote Robe es als Teil von sich selbst betrachten würde.«
Die letzten paar Minuten hatte Morat gespannt die Augen
zusammengekniffen. Der Zaubermeister hatte sogar zum ersten
Mal seit Beginn seiner stundenlangen Befragung aufgehört, auf
und ab zu laufen, und sich auf einen Holzstuhl gesetzt. Jetzt
beugte er sich vor und stieß ein kurzes, bellendes Lachen aus.
»Hah!« rief Morat aus. »Sehr pfiffig. Oberflächlich, finde
ich, aber ungeheuer pfiffig für einen Sechsjährigen!«
Raistlin nutzte den kurzen Anflug von Freundlichkeit, um
um eine Pause zu bitten. Er war zwar auf das Wohlwollen des
Magiers versessen, doch er spürte, daß er es sowieso nicht
bekam. »Bitte, Herr«, sagte Raist respektvoll, »könnte ich jetzt
wohl etwas Wasser bekommen und meine Brote essen?«
Augenblicklich kehrte Morats unzugängliche Haltung
wieder. Er stand schroff auf und ging vom Tisch fort. Dann
drehte er sich um, verschränkte die Arme und blitzte den
hungrigen, kleinen Buben an.
»Zauberer müssen dazu fähig sein, sich stundenlang ihren
Studien zu widmen, ob sie nun hungrig sind oder nicht«,
belehrte ihn Morat. »Wenn du nicht mal einen Tag einfache
Prüfungen durchhältst, dann bist du noch zu jung, zu sehr
Kind, um mit dem Lernen anzufangen.«
Raist war vor Erschöpfung und Hunger schon ganz in sich
zusammengesunken. Sein kleines Gesichtchen war fahl und
übermüdet, seine Augen tränten. Doch er entschuldigte sich
nicht. »Wenn das Eure Antwort ist«, erklärte er hartnäckig,
»dann laßt uns fortfahren. Ich nehme an, daß Ihr es mir nicht
nachtragen werdet, einfach nur gefragt zu haben.«
Eigentlich war Morat selbst ein bißchen hungrig, auch wenn
er das nur ungern zugeben hätte. Normalerweise machte er
mittags eine Pause und nahm ein bescheidenes Mahl mit seinen
Lieblingsschülern zu sich. Aber er war fest entschlossen,
diesen kleinen Kerl kleinzukriegen, der auf jede Frage eine
Antwort hatte. Selbst wenn die Antworten teilweise
ungewöhnlich waren, mußte der Zaubermeister zugeben, daß
sie wohlüberlegt klangen. Er war gleichermaßen beeindruckt
wie verstimmt über den Ernst und den Trotz des Jungen, seine
Selbstkontrolle und seine Weigerung, sich unterzuordnen.
»Vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt für eine Pause«,
lenkte Morat schließlich ein. »Ich lasse dir ein Tablett mit dem
bringen, was du aus Solace mitgebracht hast. In der
Zwischenzeit muß ich dich allein lassen und mich um meine
Schüler kümmern.«
Der Zaubermeister machte die Tür zur Bibliothek auf. Bevor
er ging, verharrte er kurz und drehte sich zu Raistlin um. »Du
hast zehn Minuten Zeit«, sagte er. »Mehr nicht.«
    Raistlin aß hastig sein Mittagessen. Er schaffte gerade noch,
es mit dem kalten, schäumenden Getränk herunterzuspülen, das
ihm der Mann in Arbeitskleidung gebracht hatte, ehe Morat
wiederkam.
    Der Zaubermeister stand naserümpfend in der Tür, um
Raistlin dann mit einer Geste in die eigentliche Bibliothek zu
winken. Als der Junge dem Zauberer nach all den Stunden in
dem engen Nebenzimmer in diesen großen, kreisrunden Raum
mit dem Licht des Teichgrunds und den Bücherregalen folgte,
fühlte er sich wie neu belebt

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