Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert
einem
düsteren Nadelwald. Allmählich war das Gefälle so stark und
der Wald so dicht geworden, daß sie nur noch höchstens
fünfundzwanzig Meilen am Tag schafften.
Allerdings schienen Ursa und seine Männer es nicht allzu
eilig zu haben. Vom späten Vormittag bis zum Nachmittag
ritten sie so gleichmäßig wie möglich durch, lagerten jedoch
stets früh und waren nie darauf aus, beim ersten Sonnenstrahl
aufzubrechen.
Einer der Männer ritt ein Maultier, das mit Töpfen und
Vorräten beladen war. Der, der Radisson hieß, ritt einen
schlichten’ Braunen. Der dritte, dessen Gesicht von einer
Kapuze verdeckt wurde, saß auf einem prachtvollen weißen
Hengst mit schwarzem Maul. Ursa lenkte seine Kit bekannte
graue Stute.
Kit wurde bald klar, daß sie in etwa die Richtung nach
Silberloch eingeschlagen hatten, einer Barackensiedlung, wo
zwergische Bergleute lebten. Doch ihr Weg führte sie weiter
nach Osten, so daß sie unterhalb der Stadt im offenen
Hügelland herauskommen mußten. In dieser Gegend konnte
sich eigentlich nichts außer dem einen oder anderen Gut oder
Landsitz befinden. Was suchten sie nur bei Silberloch? Auch
wenn es dort Minen gab, fand man dort kein Reichtümer, denn
die Zwerge, die sich auf solche mühsamen Arbeiten
spezialisiert hatten, bearbeiteten dort angeblich Steine und
bahnten den Weg für eine Straße durch die Berge. Beim
Jahrmarkt des Roten Mondes hatte Kit mitbekommen, wie die
Söldner die Entführung eines jungen Edelmanns besprochen
hatten, doch unter den Bergleuten war bestimmt kein Sohn aus
adligem Haus.
Während der langen Stunden, in denen Kit Ursa und seiner
Bande folgte, überlegte sie, was diese wohl planten. Es war ein
Kinderspiel, ihnen unbemerkt zu folgen. Kitiara war eine gute
Reiterin; sie hatte schon auf dem Rücken eines Pferdes
gesessen, bevor sie noch richtig laufen konnte.
Cinnamon, die Fuchsstute, die einst Gregor gehört hatte, war
sein Abschiedsgeschenk an sie gewesen. Obwohl sie das
einzige Pferd der Familie war, war selbst in den schlechtesten
Zeiten nie die Rede davon gewesen, sie zu verkaufen. Seit
Gregor fortgegangen war, hatte Cinnamon immer als Kits
Pferd gegolten, und jetzt ritt das Mädchen auf ihr.
Cinnamon kannte sich auf Waldwegen aus. Instinktiv wich
sie tiefhängenden Zweigen aus und schnaubte warnend, damit
Kit sich ducken konnte, wenn sie in den Weg hinein hingen.
Offenbar hat meine Beute keine Ahnung, daß sie verfolgt wird,
dachte Kit. Sie waren so unbekümmert wie ein Haufen
Gnomen.
Der Bergwald unterschied sich deutlich von der vertrauten
Landschaft um Solace. Es roch ungewöhnlich süß, die Luft war
feucht, und das Blätterwerk war dicht und dunkel.
Zunächst war Kit von all dem Neuen wie berauscht gewesen,
hatte unbekannte Pflanzen und Blumen bewundert, Fährten und
Losungen betrachtet und dem Summen der Insekten und dem
Zwitschern der Vögel gelauscht. Sie war hingerissen von den
kleinen Dingen, die ihr auffielen: dem blauen Reif, der früh
morgens auf den Blättern lag; einem komischen Tier mit langer
Schnauze und eingerollten Ohren, das sie aus einem Busch
anstarrte, ehe es schnell auf allen vieren davonsprang; einer
birnenförmigen Frucht mit Stacheln, die sehr sauer schmeckte.
Aber nach einer Weile sah dann alles vor ihr und hinter ihr
gleich aus, ein verwaschener, blaugrüner Anblick. Irgendwann
wünschte sich Kit, sie würden endlich ihr geheimnisvolles Ziel
erreichen. Zwischendurch überlegte sie, ob sie es riskieren
sollte, herauszukommen und sich zu zeigen.
Kitiara markierte ihren Weg durch Kerben in Baumstämme
die sie versteckt überall hinterließ.
Sie hatte keine Angst, sich zu verirren. Gregor hatte ihr
beigebracht, wie man in der Wildnis überlebte, und seit er fort
war, hatte sie sich darum bemüht, noch mehr zu lernen. Gilon
und sogar Bigardus, der gutmütige Heiler, hatten sich als
brauchbare Quelle des Wissens erwiesen. Sie wußte genug, um
notfalls zu Fuß und ohne Vorräte nach Solace zurückzufinden.
Kit konnte nahrhafte Nüsse und Beeren sammeln. Sie konnte
ein Feuer so anlegen, daß es windgeschützt war und trotzdem
Wärme abgab.
Sie konnte nachts einen flachen Graben für sich ausheben,
um Wärme und Schutz zu haben.
In den vielen Bächen, die das bergige Gelände durchzogen,
gab es reichlich frisches Wasser. Ihr Schultersack enthielt die
einzigen Dinge, die sie hatte mitnehmen wollen und die
einzigen Dinge, die sie vielleicht brauchen würde: getrocknetes
Fleisch in Streifen, ein Stück Seil, eine
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