Drachenlanze - Der Bund der ...
Colo.
»Radisson ist wahrscheinlich gestorben, bevor er etwas
verraten konnte«, überlegte Kitiara. »Was aus dem Karnuthier
wurde, weiß keiner. Und jetzt hat Luz Ursa…«
»Wo ist das?« fragte Colo.
»Jenseits des Kanals, dann eine Woche zu Pferd, Hunderte
von Meilen durch bergiges Gelände.«
»Bestimmt hat sie der magische Sturm dorthin gebracht.«
Kit sagte nichts. Beide blickten sich zu dem Dunkelelfen um.
Er stand gefesselt da, das Seil in einer engen Schlinge um den
Hals, und sah sie haßerfüllt an.
»Sie kennen deinen Namen noch nicht und wissen nicht, daß
du dabei warst«, meinte Colo.
»Solange Ursa ihnen nichts erzählt.«
»Falls er noch lebt.«
»Das ist so lange her«, überlegte Kitiara. »Drei Jahre. Ich
hatte es fast vergessen. Bis auf…«
»Bis auf was?« Colo sah ihr tief in die Augen.
Kitiara wich ihrem Blick aus. »Nichts«, sagte sie.
Colo stand auf, nahm einen tiefen Schluck Wasser aus einer
Blechtasse am Lagerfeuer und betrachtete den Dunkelelfen.
Der lachte und spuckte in ihre Richtung. Sie gingen zu den
zwei Pferden, um gezielt die Satteltaschen aufzuschneiden und
die paar wertvollen Dinge herauszuholen – eine schwere Börse,
Trockennahrung und eine zerknitterte Karte, die sie befriedigt
Kit entgegenhielt.
»Was hast du vor?« fragte Kit.
»Was glaubst du wohl?« erwiderte Colo irritiert. »Ich werde,
Ursa nachreiten. Was ist mit dir?«
»Ich – ich weiß nicht«, sagte Kitiara.
»Bist du das einem Mann nicht schuldig, mit dem du im Bett
warst?«
»Ich war nie mit Ursa im Bett«, erwiderte Kitiara.
»Du lügst.«
»Nein.«
Ihre Blicke trafen sich. Die Sekunden verstrichen. Colo
wollte sich gerade abwenden, als Kit sich entschieden hatte.
»Ich komme mit«, erklärte sie.
Colo zog den Dolch, den sie dem toten Dunkelelfen
abgenommen hatte, und reichte ihn Kit. »Was ist mit dem?«
fragte Colo vielsagend. »Er weiß jetzt, wer du bist.«
Kitiara zögerte nur einen Moment lang, bevor sie den Dolch
nahm und zu dem Gefangenen ging. Der große Dunkelelf
starrte sie verdrossen an. »Erwarte nicht, daß ich bettle«, sagte
er kalt.
Kit griff ihm in die Haare, riß seinen Kopf zurück und
schlitzte ihm die Kehle auf. Er starb ohne ein weiteres Wort.
»Das war für Cinnamon«, murmelte sie. Und für Patrick,
ergänzte sie in Gedanken.
Sie wischte das Messer an ihrer Hose ab und gab es Colo
zurück. Die beiden sahen sich an. Kit nahm das eine von den
Elfenpferden, Colo das andere. Die zwei Tiere waren starke
schwarze Rösser. Den Maulesel von Trauerkloß, der ihnen gute
Dienste geleistet hatte, ließen sie frei.
Trotz der späten Stunde schwangen sie sich auf die Pferde
und ritten los.
In fieberhafter Eile hielten sie nach Südosten auf die
Küstendörfer nördlich von Vocalion zu, wo Kit nicht erkannt
werden würde. Die skizzenhafte Karte des Dunkelelfen wies
ihnen den nächsten Weg in die Talfestung der Mantillas im
Ostwall-Gebirge. Aber zunächst mußten sie den Kanal nach
Abanasinia überqueren.
Nachdem sie morgens die Küste erreicht hatten, machten sie
in dem verschlafenen Städtchen Conover halt, dessen Hafen
voller Schiffe aller Art lag. Kit und Colo kletterten bei einem
Dutzend Schiffe über das Fallreep und versuchten, eine
Überfahrt für sich und ihre Pferde zu buchen. Dabei gaben sie
acht, daß sie keine Aufmerksamkeit erregten. Doch während
der kalten Jahreszeit gab es wenig Seeverkehr, so daß die
meisten Schiffe vorerst festlagen. Und kein Kapitän wollte sie
für das bißchen Geld übersetzen, das sie erübrigen konnten.
Am Ende eines enttäuschenden Tages im Hafen entdeckte
Kit ein breites Frachtschiff, das abseits der Mole im Hafen
ankerte. Sie ruderten hinaus, um mit dem Kapitän zu reden,
einem kräftigen Seemann, der eine Ladung Pelze und Wolle an
Bord hatte. Er willigte ein, sie mitzunehmen, aber nur unter der
Bedingung, daß sie als Schiffsjungen einsprangen. Ihm fehlte
ein Seemann, und er hoffte, daß zwei Frauen einen Mann
ersetzen konnten.
Colo wäre ihm am liebsten an die Kehle gesprungen, doch
Kit kam ihr zuvor. »Abgemacht«, stimmte sie zu und schüttelte
ihm zur Bekräftigung die Hand.
Sein Schiff, die Fleury, lief früh am anderen Morgen aus.
Die Woche an Bord des Segelschiffs war für Kit und Colo eine
Qual – nicht wegen der harten Arbeit, die ihnen zumindest die
Zeit nicht lang werden ließ, sondern wegen der Langsamkeit.
Wenn sie nicht mit ihren Pflichten beschäftigt waren, liefen sie
rastlos an Deck auf und ab, redeten wenig und fanden
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