Drachenlanze - Finstere Pläne
Wut fast
verrückt wurde, grinste er und schloß sie fest in die Arme und
sagte: »Aber ich werde immer für dich da sein, Selana.«
Selanas Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln.
»Vielleicht hat Semunel recht
– vielleicht bin ich ein klein
bißchen dickköpfig und zu verwöhnt«, murmelte sie
nachdenklich. »Ich wünschte, er wäre jetzt hier und könnte mir
helfen.«
Sie erinnerte sich daran, wie sie ihm die Anweisungen zur
Herstellung des Armbands gezeigt hatte, die sie gefunden hatte.
Als sie ihm erzählt hatte, was sie für ihn tun wollte, hatte er ihr
regelrecht befohlen, den Plan zu vergessen.
»Halte dich von den Landbewohnern fern; die machen nur
Ärger«, sagte er und drohte ihr wirklich mit dem Finger. »Wir
lösen dieses Problem auch alleine.«
Sein herablassender Ton hatte sie verletzt, und sie hatte seine
Einwände verworfen und war nachts fortgelaufen, um die
Sache auf ihre Weise zu erledigen. Zu ihrem Leidwesen mußte
sie jetzt zugeben, daß er recht gehabt hatte, was die
Landbewohner anging.
Seufzend setzte sich Selana im Schneidersitz ans Flußufer,
wo sie in einem ruhigen, flachen Teich hinter einem
umgestürzten Baum ihr Spiegelbild betrachtete.
»Wie konntest du eigentlich annehmen, eine solche Reise
alleine zu schaffen?« stöhnte sie das mitgenommene, blasse
Gesicht im unbewegten Wasser an. Welcher Wahn hatte aus
einer einst unbeschwerten, jungen Prinzessin ein geschlagenes,
heulendes Dummchen in einer abgelegenen Bergkette
gemacht? Sie gehörte in ihre geliebte Heimat, wo sie sich an
den schönen Wellen erfreuen könnte. Wenn sie doch nur
wieder schwimmen könnte…
Plötzlich bekam Selana große Augen. Sie betrachtete den
brausenden Fluß. Ob er tief genug war? Wenn die Strömung
nun zu stark war und sie flußabwärts trieb? Das Wasser würde
auf jeden Fall viel kälter sein als das, an das sie gewöhnt war.
Und es war Süßwasser, kein Salzwasser, doch darin konnte sie
lange überleben.
Trotz ihrer Zweifel hatte sich die Meerelfenprinzessin bereits
entschlossen. Sie glühte vor Verlangen, sich vom vertrauten
Wasser umgeben zu lassen, egal was daraus erwachsen würde.
Kühn stand sie auf und zog einen von ihren weichen
Lederstiefeln aus, um mit dem großen Zeh die
Wassertemperatur zu prüfen – es fühlte sich an wie frisch
geschmolzener Schnee. Als sie den Stiefel wieder anzog,
zitterte sie, doch nicht nur wegen der Kälte. Sie erinnerte sich
daran, daß es sich nicht so eisig anfühlen würde, wenn sie erst
in ihrer dicken, blaugrauen Delphinhaut stecken würde.
Selana schloß ihre großen, meerfarbenen Augen. Mit
zusammengebissenen Zähnen zwang sie ihre Füße, sie in das
schnell fließende, eiskalte Wasser zu tragen. Jede Faser ihres
Körpers schrie vor Protest gegen diese Zumutung für ihr zartes,
blasses Fleisch. Dann stand sie bis zum Bauch im Wasser, das
sie bis auf die Haut durchnäßte. Das Geräusch des fließenden
Wassers, das den Berg hinunterströmte, beruhigte ihre Nerven.
Während sie mit gekonnter Leichtigkeit die Arme ausbreitete,
holte sie tief Luft, hielt sie an und tauchte unter.
Selana rief sich eine Kindheitserinnerung ins Gedächtnis und
konzentrierte sich darauf. Auf der Stelle fühlte sich das
Wasser, das über sie hinwegströmte, nicht mehr eisig an. Sie
spürte das vertraute »Verschmelzen« – anders konnte sie das
Gefühl kaum beschreiben, wie sich ihre Beine in einen
kräftigen Schwanz verwandelten, wie ihre Arme zu kleinen
Flossen wurden und sich ihr Blickfeld erweiterte, wie ihr eine
flaschenförmige Schnauze wuchs und die Augen weit auf beide
Seiten auseinanderwichen.
Sie fühlte sich frei!
Mit Schlägen ihrer Schwanzflosse wandte sie sich
flußaufwärts, während sie gleichzeitig die Tiefe des Flußbetts
auslotete. Als sie zum ersten Mal atmen mußte, konnte sie der
gefährlichen Versuchung nicht widerstehen, in einem
anmutigen Bogen herauszuspringen und dabei nach Luft zu
schnappen wie Fische nach Fliegen. Sie rollte sich einmal
herum, dann noch einmal – einer der ersten Tricks, die sie als
Delphin gelernt hatte. Noch einmal sprang Selana aus dem
Wasser hoch in die Luft, wobei sie in einer trotzigen Geste mit
neuem Selbstvertrauen ihren mächtigen Schwanz schwang.
Befriedigt schwamm sie weiter. Bald würde sie sich nach
dem Versteck umsehen müssen, auch wenn ihr gar nicht richtig
klar war, wonach sie suchen sollte. Würde es ein Haus sein wie
die in der Stadt? Sie streckte ihre Schnauze aus dem Wasser
und
Weitere Kostenlose Bücher