Drachenlanze - Finstere Pläne
brennende Fackel
in einem Fackelhalter. In der Mitte war die Decke am höchsten
und fiel an allen Seiten geschwungen ab. Ganz hinten im Raum
war ein schön gearbeitetes Tischpodest aus dem Granit des
Bergs gemeißelt.
Der Golem trug sie in die Mitte des Raums, wo er sie auf
dem Boden abstellte.
»Hallo, meine kleine Zaubermaus.«
Die schleppende, tiefe Baritonstimme triefte von
Verachtung. Selana schloß einen Augenblick niedergeschlagen
die Augen, bevor sie nach rechts sah, wo die Stimme
hergekommen war.
Der Magier trat hinter einer Säule hervor. Jetzt trug er eine
schwarze Robe anstelle der roten, und auf seinem Kopf fehlte
die Kappe mit dem Widderschädel. Eine schwarze, seidene
Augenklappe bedeckte seine gräßlich vernarbte Augenhöhle.
»Willkommen in meinem – hmm«, hielt er inne und suchte
nach dem rechten Wort.
»Schlupfwinkel?« spie sie aus, während sie darum kämpfte,
das Zittern in ihrer Stimme zu beherrschen. »Ich sehe, Ihr habt
Euch entschieden, die roten Roben nicht mehr zu verspotten.
Wenigstens tragt Ihr jetzt eine Farbe, die besser zu Eurem
verschlagenen Wesen paßt.«
Er lachte gackernd und ging auf sie zu. Die Absätze seiner
Stiefel klackten auf dem kalten, glatten Steinboden und hallten
in dem starren Raum nach. »Ich würde meinen, eine Frau in
bedrängter Lage könnte etwas mehr Ergebenheit zeigen«, sagte
er unbeeindruckt. Er langte mit der daumenlosen Hand nach
vorn und fuhr über ihre zerrissenen Kleider. Seine Finger
verharrten an der Stelle ihres blassen Halses, wo ihr Puls
klopfte. Voller Abscheu fuhr die Meerelfenprinzessin zurück.
Balkom lächelte nur.
»Mit etwas Wasser und Seife und einem anständigen Kleid
wärst du direkt vorzeigbar«, sagte er, während er ihre schlanke
Gestalt in der zerfetzten Kleidung betrachtete. »Genau besehen
sind diese Lumpen auf primitive Art und Weise beinahe
verführerisch.«
Selana schrak zurück, konnte aber weder seinem Blick noch
seinen tastenden Händen entkommen.
»Du hast mir noch nicht dafür gedankt, daß ich deine Wunde
geheilt habe«, sagte der Zauberer, während seine Fingerspitzen
die frische, rosa Narbe an der Innenseite ihres linken Oberarms
nachzufahren versuchten. Sie wich zur Seite, aber die
Bewegung war schwerfällig und schmerzhaft, weil an ihren
Handgelenken immer noch die Enden der schweren Ketten
hingen. Balkom lachte wieder, was Selana vor stiller Wut
zittern ließ.
Er lief vor ihr hin und her. Den rasierten Kopf hatte er
gedankenverloren gesenkt, die Hände steckten in den
glockenförmigen Ärmeln seiner schwarzen Robe. »Es erstaunt
mich doch, daß ich noch immer nichts über deinen Begleiter
weiß, die andere Maus, oder besser: den kleinen Kender.« Er
sah sie durchdringend an. »Oder deinen Namen… Prinzessin.«
Zu seiner großen Befriedigung zuckte sie zusammen.
Er verzog die roten vollen Lippen zu einem Lächeln. »Eine
schlaue Vermutung meinerseits. Ich freue mich doch, daß sie
wahr ist. Der Spruch, mit dem ich dein Armband untersucht
habe, hat mir viel verraten, auch über dich. Am interessantesten
war seine elfische Herkunft, auch wenn ich damals das
Königreich noch nicht feststellen konnte. Das wurde natürlich
klarer, sobald ich dich ohne Schal und Mantel gesehen hatte.«
Balkom stand genau außerhalb ihrer Reichweite und schob
jetzt den Ärmel seiner rechten Hand hoch, um das
Kupferarmband vorzuzeigen. Er neigte es zu den niedrigen
Fackeln hin. »Hübsch, wie die Bernsteine das Licht des Feuers
einfangen, nicht wahr? Für mich ist das eigentlich nur Tand,
aber es wird mir Spaß machen, so ein schönes Stück zu
besitzen – hat doch wohl der grauhaarige Zwerg gemacht? Wie
schade, daß ein so geschickter Künstler nicht mehr arbeiten
wird.« Balkom schüttelte mit spöttischem Bedauern seinen
kahlen Kopf.
Mit der Wut der Besiegten versuchte Selana, das Armband
zu erwischen, aber ihr Arm war viel zu kurz. Während sie das
für Semurel gemachte Armband zum ersten Mal aus der Nähe
sah, bildete sich in Selanas Hals ein dicker Kloß. Sie war
enttäuscht. Balkoms Gestalt verschwamm vor ihren Augen, als
sie vergeblich gegen die Tränen ankämpfte.
Du hattest recht, Sem, sagte sie sich. Ich bin für so etwas
nicht geschaffen. Ich bin nicht stark genug. Zumindest was das
angeht, konntest du doch die Zukunft vorhersehen…
»Komm schon, Prinzessin«, Balkoms ungeliebte Stimme
drängte sich in ihre Gedanken. »Haben dich die Widrigkeiten
der letzten Zeit etwa weich und weinerlich gemacht? Ich
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