Drachenlanze - Ungleiche Freunde
Vorfahren. Flint hätte darauf gewettet, daß das
Menschenblut Jahrhunderte vor der Umwälzung in ihre Familie
eingeflossen war. Weil ihr Gesicht an den Augen so breit und
am Kinn so schmal war, wirkte die alte Frau wie eine Katze.
Im Gegensatz zu anderen Elfen hatte sie ihr silbernes Haar zu
einem Zopf geflochten und hochgesteckt, wodurch man die
Ohren sah, die ihr elfisches Erbe bewiesen. Ihre Finger waren
so lang und schlank, daß sie nicht recht zum Rest ihres Körpers
zu passen schienen. Wie Tanis trug sie Mokassins, die bei ihr
mit dunkellila Perlen bestickt waren, welche zu ihrem Rock
paßten. Darüber trug sie einen leichten, fliederfarben und
blaßgrün gesprenkelten Umhang mit Kapuze.
An ihrem Rock hing ein Kleinkind, das mit einem fast
anbetenden Ausdruck zu der runzligen Frau emporschaute. Der
kleine Junge, der noch nicht lange lief, wie man aus seinem
Klammern an ihrem Wollrock schließen konnte, lächelte Flint
offen an.
»Flink!« sagte der Kleine und wagte es, mit einer Hand
loszulassen, damit er auf Flint zeigen konnte. Dabei lächelte er
die alte Frau an. »Flink!«
»Flink?« wiederholte der Zwerg, der sich bückte, um dem
Kind richtig ins Gesicht sehen zu können. Flints Brauen waren
fast bis zum Haaransatz hochgezogen. »Ich kann mich nicht
erinnern, dich im Himmelssaal – ah, doch! Letzten Herbst. Da
bist du noch nicht gelaufen. Du warst mit deinem großen
Bruder da. Ich hab dir was geschenkt – was war das noch?«
Der Kleine schob eine Hand in die Tasche seines bequemen,
entengrünen Overalls und brachte ein daumengroßes Stück
Quarz zum Vorschein, ein zerfranstes Stück Quith-Pa und ein
geschnitztes Rotkehlchen. Das Kind legte Flint seine drei
Schätze in die Hand und lächelte wieder. Der Zwerg
untersuchte die drei, nickte ernst und gab den Stein und das
Brot zurück. Dann stand er mit dem Holzvogel in der Hand da
und sah die Elfenfrau an.
»Habt Ihr das gemacht?« fragte sie mit einer vollen Stimme,
die so klang wie die eines Jahrhunderte jüngeren Elfen. Sie
streckte ihren schlanken Finger aus und berührte den Vogel.
Das Rotkehlchen war am Bauch dicker als am Kopf und war
unten abgerundet, so daß das Spielzeug, wenn es runterfiel, auf
die Seite rollte und sich dann wieder aufrichtete. Flint hatte das
einfache Spielzeug aus zwei Holzstücken gemacht und am
Boden, zwischen den beiden Teilen, ein schweres Stück Eisen
eingearbeitet, damit der Vogel nicht umgeworfen werden
konnte.
Flint stubste es noch ein paarmal an, weil ihn das Schaukeln
wieder faszinierte, bis er merkte, daß die Frau mit den
Haselnußaugen auf eine Antwort wartete und der kleine Junge
sein Spielzeug zurückwollte. Der Zwerg gab dem Kleinen
seinen Vogel zurück und nickte der Frau zu.
»Ihr seid Flint Feuerschmied«, stellte sie fest. Das war keine
Frage.
Flint nickte wieder.
»Ich möchte Spielsachen bei Euch kaufen«, sagte sie ohne
Umschweife.
»Nun«, sagte Flint gedehnt, »das könnte ein Problem sein.«
»Warum?« wollte sie wissen.
Der Zwerg sah an ihr vorbei zu dem Eichenschrank. »Erstens
verkaufe ich kein Spielzeug. Ich verschenke es. Und zweitens
verkaufe ich es nicht an Fremde.«
Ihre klaren Züge nahmen einen beleidigten Ausdruck an, und
sie drehte sich so abrupt um, daß das Kind praktisch umgefegt
wurde. »Nun, ich denke, das war’s dann, Meister
Feuerschmied«, sagte sie und wollte die Tür öffnen.
Flint holte tief Luft, während die Hand der Frau sich schon
auf die Türklinke legte, »Wenn Ihr Euch natürlich dazu
durchringen könntet, Euch vorzustellen, wärt Ihr ja keine
Fremde mehr«, sagte er ruhig, während er die Nägel seiner
linken Hand begutachtete und mit einem Eisensplitter den Ruß
herauspulte, der darunter saß.
Die Frau blieb mit dem Rücken zu Flint stehen und schien
nachzudenken. Dann fuhr sie mit blitzenden Augen herum
»Ailea«, erklärte sie schroff. »Eid Ailea für die, die mich gut
kennen.« (»Eid« bedeutet in der Elfensprache »Tante«.) Flint
senkte den Kopf. »Und ich bin Flint Feuerschmied.«
»Ich wei…«, setzte sie an, seufzte dann aber und wartete.
»Und«, fuhr er fort, als wenn sie nichts gesagt hätte, »obwohl
ich keine Spielsachen an Fremde verkaufe, könnte ich doch
einer Freundin welche schenken.«
Sie seufzte erneut, doch diesmal stahl sich ein schwaches
Lächeln auf ihre dünnen Lippen. Sie glich einer Katze aus
Abanasinia, der man eine lang ersehnte Belohnung vorsetzt.
Aber ihre Worte verrieten Ärger. »Ich habe schon gehört, daß
Ihr so seid,
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