Drachenlied
sich rasch und das erregte Summen der Drachen schwoll an. Menolly fiel es schwer, still zu sitzen.
Ein Schrei verkündete, dass einige der Eier zu schaukeln begonnen hatten. Nachzügler hasteten über den Sand und auf den Sitzen vor Menolly nahmen Angehörige der Bergwerksgilde in rotbrauner Tracht Platz.
Sie verschränkte die Arme und ließ sie dann doch hängen, weil sie sich weit vorbeugen musste, um an den bulligen Bergwerksleuten vorbeischauen zu können.
Alle Eier schaukelten jetzt - alle bis auf ein kleines graues Ding, das ein wenig abseits nahe der inneren Wand lag.
Flügelrauschen, und diesmal brachten Bronzedrachen die Mädchen, die man als Kandidaten für das Königinnenei ausgewählt hatte. Menolly versuchte zu erkennen, welche von ihnen Brekke war, aber sie sahen alle gesund und munter aus. Hatte die Aufseherin heute Morgen nicht erwähnt, dass Brekke zwischen Leben und Tod dahindämmerte? Die Mädchen bildeten einen lockeren, unvollständigen Halbkreis um das Königinnenei, während Ramoth leise zischte.
Vom Weyrkessel marschierten weiß gekleidete Jungen ein, mit ernsten Mienen und straffen Schultern. Sie näherten sich zielbewusst den übrigen Eiern.
Menolly übersah Brekkes Eintreten, weil sie gerade zu erraten versuchte, welches der heftig schaukelnden Eier wohl zuerst aufbrechen würde. Dann begann einer der jungen Männer vor ihr zu flüstern und deutete zum Eingang, auf eine schmale Gestalt, die unsicher und langsam näher trat; den heißen Sand unter ihren Sohlen schien sie kaum zu bemerken.
»Das muss sie sein - Brekke«, sagte er zu seinen Kameraden. »Der Drachenreiter hat mir erzählt, dass man sie ganz in die Nähe des Eies stellen will.«
Ja, dachte Menolly, sie geht wie eine Schlafwandlerin. Jetzt erst bemerkte sie Manora und einen unbekannten Mann neben dem Eingang. Sie standen da, als könnten sie Brekke durch ihre Nähe Kraft geben.
Plötzlich schüttelte Brekke den Kopf und straffte die Schultern. Sie ging mit ruhigen Schritten auf die fünf Mädchen zu, die in der Nähe des goldenen Eies warteten. Eine der Bewerberinnen drehte sich um und winkte sie zu sich.
Das Summen der Drachen hörte abrupt auf. In der erwartungsvollen Stille hörte man ein Knistern und Knacken.
Ein junger Drache und dann noch einer schoben sich feucht und ungeschickt aus den Schalen. Die keilförmigen Köpfe wirkten viel zu groß für die dünnen, biegsamen Hälse.
Menolly fiel auf, wie starr die Jungen dastanden. Sie hatte sich damals ähnlich gefühlt, in jener Höhle der Küstenklippen, als die winzigen Echsen aus ihren Eiern schlüpften, rasend vor Hunger.
Gleich darauf aber wurde der Unterschied deutlich: Die Feuerechsen hatten keine fremde Hilfe erwartet; der Instinkt trieb sie dazu, ihre leeren Mägen so rasch wie möglich vollzustopfen. Die Drachen dagegen schauten sich erwartungsvoll um. Einer stolperte an dem ersten Jungen vorbei, der ängstlich zur Seite wich, und fiel dem nächsten, einem hochgewachsenen schwarzhaarigen Burschen, tollpatschig vor die Füße. Der Junge kniete nieder, half dem kleinen Drachen auf und schaute ihm in die kreisenden Regenbogenaugen.
Eine Faust schien Menolly das Herz zusammenzupressen. Ja, sie hatte ihre Feuerechsen, aber einen Drachen zu besitzen... Verwirrt überlegte sie, wo Prinzessin, Rocky, Taucher und all die anderen sein mochten. Sie fehlten ihr - sie sehnte sich so nach Prinzesschens Wärme.
Ein Riss klaffte mit einem Mal in der goldenen Schale, verbreiterte sich. Ein kräftiger kleiner Schnabel hackte sich den Weg ins Freie und das Drachenkind fiel mit lautem Geschrei in den Sand. Drei der Mädchen bückten sich und halfen der kleinen Königin auf die Beine; dann traten sie zögernd zurück und schauten Brekke an. Menolly wagte nicht zu atmen. Brekke schien nicht zu bemerken, was rund um sie vorging. Sie wirkte kraftlos, gebrochen. Die kleine Königin wandte Brekke den Kopf zu, starrte sie mit riesigen, glitzernden Augen an...
In diesem Moment sah Menolly aus dem rechten Augenwinkel, wie eine Bronzeechse über die Brutstätte schwirrte. Doch nicht etwa Taucher? Aber das konnte nicht sein, denn die Echse umflog mit einem hellen, zornigen Kreischen den Kopf des kleinen Golddrachen. Mit einem Schrei wich die
junge Königin zurück und breitete instinktiv die Flügel aus, um ihre empfindlichen Augen zu schützen.
Drachen auf den Felsvorsprüngen begannen, warnend zu trompeten, und Ramoth schüttelte die Schwingen. Eines der Mädchen warf sich
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