Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
mußten an die Ruder, um nicht abgetrieben zu werden.
Maylin preßte das Gesicht an die Holzplanken, die aufgebrachten Flüche ignorierend, und konzentrierte sich nur darauf, wieder zu Atem zu kommen.
Ein Tritt traf sie. Sie setzte sich auf und wischte sich die triefnassen Locken aus dem Gesicht, ihre Unterlippe wütend vorgeschoben.
»Dumme Kuh! Hättest in ’n Fluß fallen und absaufen können!« brüllte der ältere der beiden Männer, während er gleichzeitig das Ruder durchzog. »Eigentlich müßtest du das Doppelte zahlen …«
»Ich habe kein Geld«, sagte sie.
Der andere Mann fluchte. »Yattil, glaubt dieses verfluchte Ding etwa, wir würden sie umsonst ans andere Ufer bringen? Wir sollten dich ins Wasser schmeißen, du diebische Elster! Ehrliche Männer um ihren Lohn zu bringen!«
Maylin wich einem zweiten Tritt aus und hockte sich auf die Knie. Rasender Zom funkelte in ihren Augen. Die beiden Männer traten erschrocken zurück und vergaßen fast zu rüdem, als Maylin losbrüllte.
»Wie könnt ihr es wagen! Wie könnt ihr es wagen! Laßt mich zufrieden, ihr Narren, und hört mir zu. Wenn ihr mich nicht sofort auf die andere Seite bringt, werdet ihr demnächst einen Kopf kürzer sein, versteht ihr? Es geht um das Leben von Linden Rathan.«
Die Fährmänner sahen einander an. »Was meinst du?« fragte Yattil scharf. »Wir haben den Drachenlord doch vorhin erst übergesetzt.«
»Stimmt«, sagte Maylin. »Danach ist er überfallen worden. Meine Cousine ist bei ihm. Ich hole die anderen Drachenlords zu Hilfe.«
Yattil starrte sie irritiert an, während er ruderte. Offensichtlich glaubte er ihr nicht, wagte aber auch nicht, ihre Geschichte als blanken Unsinn abzutun. Dann schien er beschlossen zu haben, besser auf Nummer Sicher zu gehen, und fragte: »Was ist passiert?«
Maylin überlegte kurz, wieviel sie ihnen erzählen sollte, dann sagte sie: »Wir – meine Cousine und ich – sind mit dem Yerrin-Barden Otter Heronson befreundet, der wiederum ein Freund von Linden Rathan ist. Otter wohnt bei meiner Familie, den Vanadins. Wir sind Kaufleute.«
Die Männer nickten und sahen erleichtert aus. Offenbar hatten sie entweder von Otter oder von ihrer Familie gehört. Maylin war froh, daß sie nicht fragten, weshalb Otter bei ihnen statt bei dem Drachenlord wohnte. Sie wußte es selbst nicht.
Bevor die Männer etwas entgegnen konnten, führ Maylin fort: »Linden Rathan wollte uns treffen … Als er nicht kam, machten wir uns auf die Suche nach ihm. Rynna und ich fanden ihn unweit der Fähre. Zwei Männer beugten sich über ihn. Rynna schlug sie in die Flucht.« Maylin machte eine Pause und dachte schaudernd an Maurynnas martialische Schreie, als sie auf die beiden zugestürmt war.
Sie hat auch mir Angst eingejagt! Ich dachte, nur Drachen können so grimmig werden.
»Und jetzt muß ich die anderen Drachenlords zu Hilfe holen. Linden Rathan ist verwundet oder schwerkrank. Sie können ihm helfen.«
Die Männer sahen einander fragend an. Dann nickte Yattil, und sie legten sich mit aller Kraft in die Ruder. Maylin bezweifelte, daß die Fähre jemals schneller gefahren war.
Sie kroch an den beiden vorbei und kauerte sich am Bug zusammen. Elend vor Angst sehnte sie das weit entfernte Ufer herbei. Durch den dünnen Stoff ihrer Tunika stach der Regen auf sie ein.
Die Götter mögen uns beistehen, dachte sie. Hoffentlich ist er noch am Leben. Tief aus ihrem Innern kam die Frage: Woher wußte Rynna, daß etwas nicht stimmte?
Sie kauerte sich noch mehr zusammen und wog alle Hinweise und Möglichkeiten mit ihrem »kühl kalkulierenden Kaufmannsverstand« ab, wie ihre Mutter es oft spaßeshalber ausdrückte. Und diesen kühl kalkulierenden Verstand würde sie auch brauchen – hauptsächlich, um sich den unglaublichen Gedanken auszureden, der ihr im Kopf herumspukte.
Während der Sturm näherrückte, betete Maurynna wie nie zuvor in ihrem Leben, mehr noch als am Totenbett ihrer Mutter. Damals war sie erst zehn gewesen, zu jung, um zu verstehen, was der Tod bedeutete. Nun wußte sie es. Und die Vorstellung, Linden zu verlieren, raubte ihr fast den Verstand. Sie legte eine Wange an seine Stirn. Sein Atem schien gleichmäßiger geworden zu sein, und er fühlte sich wärmer an. Sie schöpfte etwas Hoffnung.
Er bewegte sich in ihren Armen. Sie drehte seinen Kopf, so daß sie sein Gesicht sehen konnte. Seine Augen öffneten sich wie bei jemandem, der nur widerwillig aus dem Schlaf erwachte: Sie verzogen sich zu
Weitere Kostenlose Bücher