Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
möchte mein Schiff behalten; es würde mich umbringen, es zu verlieren. Aber noch mehr möchte ich – o Götter, ich weiß nicht, was ich möchte.«
Doch sie wußte es. Sie wollte dem Kindheitstraum folgen, der ihrer Seele keine Ruhe ließ.
»Hast du jemandem aus der Mannschaft davon erzählt?«
Maurynna verzog das Gesicht. »Natürlich nicht. Ich bin vielleicht verrückt, aber nicht dumm.«
Er lachte. »Dann belasse es dabei. Denn ich verspreche dir folgendes: Ich werde dir Linden vorstellen, und du wirst die Gelegenheit bekommen, ihn richtig kennenzulernen. Was immer ich dafür tun muß, ich werde es tun.«
Das verschlug ihr den Atem. »Otter, soll das ein Witz sein?«
»Nein, meine Liebe, das ist kein Witz. Du hast das Wort eines Barden.«
Er lächelte sie sanft an. Sie konnte nichts sagen. Otter liebte es, seine Spaße mit ihr zu treiben, doch dies meinte er tatsächlich ernst. Tränen schimmerten in ihren Augen.
»Danke. Dann werde ich mich gedulden.« Ihre Stimme klang rauh. Sie wandte sich ab und schaute auf die nächtliche See hinaus, bevor er die verräterische Nässe auf ihren Wangen sehen konnte.
Als sie sich gefaßt hatte, fragte sie: »Glaubst du, ich mache einen Fehler? Wäre es besser für mich, ihn nicht kennenzulernen? Er ist schon so lange mein Held. Linden Rathan – er ist doch kein, ich meine, er ist doch kein gemeiner Kerl oder dergleichen, oder?«
Wieder schnaufte Otter verächtlich. »Natürlich ist Linden kein gemeiner Kerl. Ich würde ihn dir nicht vorstellen, wenn er einer wäre, ob Drachenlord oder nicht. Bei den Höllen des Gifnu, ich würde mir nicht seit vierzig Jahren seine Gesellschaft zumuten, wenn ich ihn nicht mögen würde.«
Andere Ängste erwachten in ihr. Was, wenn er sie nicht mochte. Und worüber würde sie mit einem magischen Wesen sprechen, das über sechs Jahrhunderte alt war?
Die erste schob sie beiseite und stellte sich die zweite Frage.
Otter schüttelte den Kopf. »Du wirst sehen, daß er gar nicht so anders ist als du, Rynna.«
Verwirrt fragte sie: »Was meinst du?« Wie konnte Linden Rathan nicht anders sein? Er war ein Drachenlord, magisch, nahezu unsterblich.
Otter wartete eine Weile, als würde er seine nächsten Worte mit äußerstem Bedacht wählen. Schließlich sagte er: »Linden hat mir einmal erzählt, daß mit einem Drachenlord bei seiner Ersten Verwandlung etwas geschieht. Er konnte es nicht besser beschreiben als mit den Worten ›Man fällt aus der Zeit heraus‹. Ich nehme an, er meint, daß ein Drachenlord nach seiner Ersten Verwandlung wie ein Echtdrache heranwächst – unglaublich langsam. Verglichen mit einem Echtdrachen, ist Linden noch ein Baby, obwohl er schon sechshundert Jahre alt ist.
Er war bei seiner Ersten Verwandlung nicht viel älter als du gerade achtundzwanzig –, und im Laufe der Jahre habe ich oft vergessen, daß er um vieles älter ist als ich. Sicher, manchmal sehe ich in seinen Augen etwas unvorstellbar Altes, doch im nächsten Moment ist es schon wieder verschwunden.«
Otter hob einen Arm, deutete auf die Seenebel und den sie umgebenden Ozean und sagte: »Und was eure Gesprächsthemen angeht … Erzähl ihm von deinem Schiff, Maurynna; erzähl ihm vom Segeln und wie das Meer im Sturm aussieht. Erzähl ihm, wie es war, als du zum ersten Mal in einen Hafen eingelaufen bist. Erzähl ihm von den verschiedenen Wellenarten und was sie bedeuten. Erzähl ihm, wie die Möwen im Morgengrauen klingen. Er ist nicht oft gesegelt und lernt gerne dazu. Sei nicht überrascht, wenn er fragt, ob er irgendwann mit dir fahren darf.«
Maurynnas Gedanken überschlugen sich. Sie konnte nichts sagen; zuviel ging ihr durch den Kopf. Linden Rathan? An Bord der Seenebel? Das wäre wirklich ein wahr gewordener Traum.
Sherrine versteckte sich hinter einer Säule. Sie spähte dahinter hervor, achtete darauf, von niemandem gesehen zu werden, und verbarg sich wieder, leise lachend.
Linden Rathan kam die Stufen hinunter. An der Art, wie er den Kopf in verschiedene Richtungen wandte, sah sie, daß er jemanden suchte.
Und sie hatte keinerlei Zweifel, nach wem er suchte. Sie war zufrieden mit sich. Sie hatte bei ihm genau den richtigen Ton getroffen: angstlos, ungezwungen, herausfordernd. Sie hatte gesehen, wie der Ausdruck in seinen Augen von gelangweilt zu interessiert wechselte, als sie gewagt hatte, ihn zu necken.
Sie sah wieder hinter der Säule hervor. Er war auf den Stufen stehengeblieben. Ihr Blick glitt anerkennend über ihn hinweg.
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