Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Das offizielle Amtsgewand eines Drachenlords stand ihm ausgezeichnet. Keiner der jungen Männer, die sie kannte, wäre fähig, die altmodisch geschnittene schwarze Robe mit den wallenden, an den Enden gezackten Ärmeln und dem dunkelroten Seidenfutter zu tragen. Selbst auf einem Maskenball sähen sie darin lächerlich aus.
Nicht so der große Drachenlord. Er trug die Robe mit einer unbewußten Würde, die ihn … – sie suchte nach dem richtigen Wort; schneidig –, … die ihn schneidig aussehen ließ. Wie der Held in einem Märchen.
Er war nun am Fuß der Treppe angelangt und würde sich gleich unter die Gäste begeben.
Sich im Schatten haltend, schlich Sherrine aus dem Saal. Es gehörte nicht zu ihrem Plan, daß er sie heute abend wiederfinden würde.
Sie würde ihn finden. Und sie würde den Zeitpunkt und den Ort bestimmen. Sie glaubte, daß sie sich auf das Treffen freute.
Etwas in seinem Gesicht hatte ihr instinktiv gefallen, vielleicht die Güte in seinen dunklen Augen.
Sie schüttelte den Kopf. Pah! Sie klang schon genauso schlimm wie Tandavi. Dieses kleine Techtelmechtel war reines Geschäft. Beziehungsweise Teil des Krieges, wie ihre Mutter sagen würde; des Krieges zwischen Echtmenschen und Werdrachen.
Trotzdem, sie hoffte, daß sie nicht lange würde warten müssen.
7. KAPITEL
Mailyn zog gerade den letzten Brotlaib aus dem Ofen, als ihre kleine Schwester Kella in die Küche gerannt kam.
»Maylin! Rate mal, was passiert ist? Rate, rate, rate!« juchzte Kella, aufgeregt herumhopsend.
Maylin nahm die Schürze von ihrem drallen Bauch und fragte: »Woher soll ich das wissen, du kleine Kichererbse? Sag’s mir.«
»Mama hat gesagt, weil wir neulich nicht bei der Ankunft dabeisein konnten, dürfen wir zusehen, wie die Drachenlords die Prozession entlangreiten, bevor wir ihr im Geschäft helfen müssen! Heute tritt zum ersten Mal der Rat zusammen.«
Die Schürze flog durch die Küche, verfehlte aber den Haken an der Wand und glitt unbemerkt auf den Steinboden hinunter. Maylin stieß einen Freudenschrei aus und nahm Kellas Hand. »Komm! Steh nicht so herum. Wir müssen uns beeilen, wenn wir einen guten Platz bekommen wollen.«
Sie riefen etwas zum Abschied und stürmten aus der Tür. Lachend rannten sie durch Casnas Straßen, in denen es zu dieser frühen Stunde noch angenehm kühl war. Ab und zu blieben sie stehen, um zu verschnaufen – aber nicht lange. Jedesmal trieb sie ihre Aufregung weiter, bevor sie richtig zu Atem gekommen waren.
»Ich weiß einen guten Platz«, sagte Maylin bei einer dieser Pausen, zwischen jedem Wort nach Luft japsend. »Unter der großen Ulme, die, wo die Gasse hinter den Tempeln auf die Prozession trifft. Es dauert noch eine Weile, bis sie zum Palast reiten, und wir können im Schatten warten.«
»Ja!« stimmte Kella zu und sauste los wie ein abgeschossener Pfeil.
Maylin stöhnte auf und rannte ihr hinterher. Wenigstens war es noch kühl genug, um zu rennen; noch hatte sich die brütende Hitze, von der Casna seit mehr als zwei Wochen heimgesucht wurde, nicht über den jungen Tag gelegt.
Trotzdem rasselte Maylins Atem, als sie zu Kella aufschloß. Sie nahm ihre Schwester wieder bei der Hand und verfiel in einen gemächlicheren Trab.
Obwohl sie sich beeilt hatten, sahen sie an ihrem Ziel, daß zahllose Schaulustige dieselbe Idee gehabt hatten. Die Prozession – die breite Prachtstraße, die zum Palast führte – war auf beiden Seiten mit Menschen verstopft.
»So ein Mist«, sagte sie mürrisch, als sie die Menschenmenge sah. »Kella, halt dich an meinem Kleid fest und laß es auf keinen Fall los.«
Kella folgte der Weisung ihrer Schwester; Maylin tauchte in die Menge der Schaulustigen ein. Sie schob und drückte, Kella wie eine Klette im Rücken, und zwängte sich zwischen den dichtgedrängten Zuschauermassen hindurch. Ein unfreundlicher Bauerntölpel in einem groben Baumwollhemd wollte sie nicht vorbeilassen, obwohl er ohne weiteres über ihren Kopf hätte schauen können, selbst wenn sie direkt vor ihm gestanden hätte. Als er sich umdrehte, um sie anzufahren, hob sie das Gesicht, die Augen weit aufgerissen, damit er sie genau sehen konnte. Erschrocken wich er vor ihr zurück und machte das Zeichen gegen den bösen Blick. Maylin nutzte den Moment, um listig grinsend an ihm vorbeizuhuschen.
Richtig gesehen – meine Augen haben zwei verschiedene Farben. Und du Narr glaubst, dies wäre der böse Blick. Dabei ist es bloß ein Merkmal, das in meiner
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