Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Sie trug die schluchzende Kella auf dem Arm. Auf thalnianisch sagte sie zu Maylin: »Hüte deine Zunge, dummes Mädchen – was, wenn eine der Wachen Thalnianisch versteht und ihr erzählt, was du gesagt hast? So, nun kümmere dich um Maurynna. Ich muß Kella beruhigen, sonst hat sie die ganze Nacht Alpträume.« Sie reichte ihrer älteren Tochter ein zusammengelegtes Stück Stoff und einen langen schmalen Stoffstreifen, die sie beide, nahm Linden an, von ihrem Unterrock abgerissen hatte.
Maylin senkte grollend den Kopf und nahm ihrer Mutter den behelfsmäßigen Verband aus der Hand. Elenna ging ins Haus. Linden trat zur Seite und sah zu, wie Maylin Maurynnas verletztes Auge mit dem Polster abdeckte und den Stoffstreifen darüber festband.
»Dank dir«, flüsterte Maurynna, ihre Stimme gepreßt vor Schmerz. Ihre Finger krallten sich in seine Robe.
Das Klappern von Hufen auf Pflastersteinen sagte ihm, daß Sherrine davonritt – ungestraft. Sie hatte Maurynna schwerverletzt, und er konnte nichts tun. Er fühlte sich elend und war wütend und frustriert wegen seiner Hilflosigkeit.
Maylin sprang auf, rannte zum Hoftor und sah den Reitern nach. Dann wirbelte sie herum, die Fäuste geballt, und rief: »Du läßt sie ungeschoren davonkommen! Du bist ein Drachenlord tu etwas!«
Otter, bitte beruhige sie! Sie regt Maurynna auf.
»Sei still, Maylin«, fuhr Otter sie an. »Du weißt nicht, wovon du sprichst.« Er zog die bei jedem Schritt protestierende Maylin vom Tor weg.
Linden sagte: Du meine Güte, sie ist verdammt wild für ihr Alter.
Otter kicherte im Geiste. Nicht wahr? Ich glaube, es wäre keine gute Idee, jemandem aus ihrer Familie etwas anzutun. Einen Moment dachte ich, sie würde über Sherrine herfallen.
Dachte ich auch, und das wäre sehr schlimm gewesen. Linden drückte Maurynna an sich und rief: »Hauptmann Jerrel, schickt Lady Sherrine ein paar Soldaten hinterher. Sorgt dafür, daß sie nach Hause geht und nirgendwo sonstwohin. Laßt die Männer das Haus beobachten; sie darf es bis morgen früh nicht verlassen. Und falls sie morgen früh nicht freiwillig rauskommt, bringt sie zu mir.«
Der Hauptmann bellte einen Befehl. Einige Soldaten aus Lindens Eskorte lösten sich aus der Gruppe und ritten Sherrine nach.
Otter und Maylin traten zu ihm; der Barde hielt noch immer das Mädchen fest.
»Was wirst du wegen der Sache unternehmen? Wie wirst du Sherrine bestrafen?« verlangte sie zu wissen.
Seine Antwort war so bitter wie Wurmholz auf seiner Zunge. »Ich kann nichts tun«, sagte er. Als Maylin protestierte, fuhr er fort: »Wenn Maurynna Sherrine bestrafen lassen will, muß sie das im Rahmen der cassorischen Rechtsprechung tun. Und ich glaube nicht, daß ihr das gelingen wird.«
Er ballte die Fäuste und sagte im Geiste zu Otter: Meine Seelengefährtin wird angegriffen, und ich kann die verantwortliche Person nicht zur Rechenschaß ziehen. Sherrine sollte für eine Tätlichkeit gegen einen Drachenlord angeklagt werden. Aber weil ich nichts verraten darf, wird Sherrine von der cassorischen Rechtsprechung einen Klaps auf die Hand bekommen – wenn überhaupt! –, undMaurynna wird im Regen stehen.
Otter sagte: Du hast natürlich recht. Du darfst dich nicht mal zu sehr aufregen – jemand könnte argwöhnisch werden. Was willst du nun tun?
Linden überlegte: Die Straße zum Palast ist breit genug, daß ich mich auf ihr verwandeln kann. Dann werde ich mein Heilfeuer einsetzen
Otter gab einen Würgelaut von sich. Bist du wahnsinnig? Götter, die Sache nimmt dich stärker mit, als ich dachte! Vergiß nicht, was passieren könnte, falls du dich in Maurynnas Nähe verwandelst – du, ihr Seelengefährte.
Kalter Schweiß lief Linden über den Rücken. Götter, habt Gnade – du hast selbstverständlich recht. Ich weiß nicht, ob ich Rathan beherrschen könnte. Er könnte die Drachenseele in ihr anrufen. Und das könnte sie umbringen. Danke, Otter.
Der Barde nickte.
Maylin sagte: »Hört auf, mich zu ignorieren. Was kümmert uns die cassorische Rechtsprechung?«
Erschüttert darüber, welcher Gefahr er Maurynna um ein Haar ausgesetzt hätte, verlor Linden die Beherrschung. Er brüllte: »Verstehst du nicht? Ich bin einer der Gesetzesbringer. Das heißt es, ein Drachenlord zu sein – nicht, daß ich meine persönliche Rache einfordern kann, wann immer es mir beliebt. Wir sind die Diener der Menschheit, nicht ihre Herrscher. Ich kann nicht die Gesetze eines Landes ändern, bloß weil ich sie nicht mag. Ich
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