Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Mutter, die Baronesse, ins Geschäft kommen. Sie sagt, der Profit sei es nicht wert.«
Maurynna hob die Augenbrauen. Daß ihre praktisch veranlagte Tante bereitwillig auf Geschäfte mit einer Baronesse verzichtete, sagte eine Menge über die Colranes. Ihre Bestimmtheit bröckelte. Sie wußte nicht, was sie tun sollte: sich verstecken oder dieser Frau gegenübertreten? Wäre ihre Rivalin um Lindens Gunst keine Adlige … Sie fluchte leise und wünschte, das alles würde in Thalnia geschehen. In Cassori half ihr ihr Status als Angehörige des Hauses Erdon nicht – nicht gegen eine Adlige.
»Geh schon!« Maylin schob sie die Stufen hoch.
»Ihr habt keinen Befehl des Palastes oder der Stadtwache«, hörte sie ihre Tante sagen, während sie ein oder zwei Stufen hinaufging.
»Ich brauche keinen«, lautete die Antwort. »Wachen!«
Maurynna hörte die Wachen von den Pferden steigen und drehte sich ohne zu zögern um. Sanft, aber bestimmt schob sie Maylin zur Seite, trat um Kella herum und schritt hocherhobenen Hauptes die Stufen hinunter. Sie würde sich nicht wie eine gewöhnliche Kriminelle aus dem Haus zerren lassen.
Maylin stapfte hinter ihr die Treppe hinunter und murmelte: »Von allen starrsinnigen, sturköpfigen …«
Ihren langen Rock mit einer Hand raffend, stieg Maurynna würdevoll die drei Stufen in den Vorhof hinab. Sie trat an ihrer Tante vorbei und ging die wenigen Meter zu Lady Sherrine. »Wie ich hörte, sucht Ihr mich, Mylady«, sagte sie.
Sie wartete im Lichtschein der Fackeln. Die dahinterliegende Dunkelheit war undurchdringlich. In der Stille, die ihren Worten folgte, hatte sie Zeit zu bemerken, wie warm die abendliche Luft war und wie herrlich die Rosen dufteten, die sich an den Mauern des Hauses hinaufrankten. Das Kopfsteinpflaster fühlte sich durch die dünnen Sohlen ihrer Hausschuhe hart und kühl an.
Lady Sherrine sagte eine Zeitlang nichts, dann: »Du bist Maurynna Erdon, Kapitän der Seenebel? «
»Das bin ich.« Maurynna sah der Adligen direkt in die Augen. Vergiß nicht, du bist nicht in Thalnia. Für diese Frau hast du keinen Rang.
Schweigend musterten sie einander. Obwohl sie sorgsam darauf bedacht war, sich nichts anmerken zu lassen, war Maurynna vom ersten Anblick ihrer Rivalin regelrecht erschüttert. Selbst im fahlen Licht der Fackeln war Lady Sherrines Schönheit überwältigend.
Wie sie gerade wie ein Mast im Sattel sitzt, dachte Maurynna. Sie sieht aus wie eine Wirklichkeit gewordene Gestalt aus einem Bardenlied, schön wie eine Herbstweise. Sie betrachtete die zierlichen Hände, die Zügel und Reitpeitsche hielten, und dachte an ihre von harter Arbeit schwieligen Finger.
Sie fragte sich, welche Farbe Sherrines große, leicht schrägstehenden Augen hatten. Zweifellos haben sie dieselbe Farbe, nicht zwei unterschiedliche wie bei mir. Sie ist perfekt, schlichtweg perfekt, dachte Maurynna bekümmert. Kein Wunder, daß Linden sich mit ihr eingelassen hat. Wie konnte ich je glauben, ihn ihr wegnehmen zu können? Jetzt weiß ich, warum er mich nie auch nur andeutungsweise bittet, die Nacht mit ihm zu verbringen.
Maurynna kam sich wie eine Närrin vor. Doch sie würde der Frau niemals die Genugtuung geben und sie das wissen lassen. Selbst wenn Linden nur mit mir herumgespielt hat, hat sie nicht das Recht, mich anzustarren, als wäre ich eine Kreatur aus der Gosse. Sie straffte ihren Oberkörper.
»Mylady, Ihr habt nach mir gefragt, und hier bin ich. Ihr sagt nichts. Darf ich daraus schließen, daß Eurem Wunsch damit Genüge getan ist? Sollte dem so sein, würde ich gerne …«
Die Peitsche stieß gegen den Sattelknauf. Das Pferd schnaubte überrascht.
Lady Sherrine spie: »Ich weiß zwar, daß du für ihn nicht mehr als ein kleiner billiger Zeitvertreib bist, trotzdem befehle ich dir, dich von Linden Rathan fernzuhalten, du hinterhältige kleine Krämerseele. Wie kannst du es wagen, mich so hochnäsig anzustarren?«
Weil ich eine Träumerin bin, dachte Maurynna. Dann fiel ihr ein, daß Linden an sie herangetreten war, nicht umgekehrt. Ein winziger Hoffnungsfunke keimte in ihr. Leise sagte sie: »Bei allem Respekt, Mylady, aber liegt eine solche Entscheidung nicht bei Linden? Er …«
Das Pferd machte einen Satz nach vorne. Maurynna sprang gerade rechtzeitig zur Seite, um nicht umgerannt zu werden. Sie hörte Tante Elennas und Maylins Schreie und die überraschten Rufe der Wachen. Hände – sie glaubte, es waren die ihrer Tante – versuchten sie aufzufangen, doch sie
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