Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
aufrührerischer Priester zur Arbeit in die Minen. Weil er sowohl gelehrt als auch alt war, bat ich darum, ihn als Schreiber einsetzen zu dürfen. Zu meiner Überraschung wurde mir die Bitte gewährt. Wir wurden gute Freunde, und Taorun erzählte mir vieles, was ich zuvor nicht gewußt hatte – zum Beispiel, was die wahre Quelle der Macht hinter dem Phönixthron ist.«
Taren hielt inne und wischte sich mit zitternder Hand die Stirn. Die Herrin winkte ihrem persönlichen Diener Sirl, dem einzigen, der bei diesem Treffen zugelassen war. Der Kir brachte einen Kelch mit schwerem pelnaranischem Wein, der bereits für diesen Fall eingegossen war. Er reichte ihn Taren mit einer Verbeugung. Taren flüsterte kaum hörbar »Danke« und trank einen Schluck.
Eine Spur Farbe kehrte in seine Wangen zurück. Taren trank noch einen Schluck und fuhr, diesmal mit etwas kräftigerer Stimme, fort: »Euer Gnaden, habt Ihr je von dem Jehangli-Phönix gehört? Es heißt, er sei ein riesiger Vogel, schöner als die Dämmerung, der tausend Jahre lang lebt. Wenn diese tausend Jahre vergangen sind, baut der Phönix ein großes Feuer auf dem Rivasha und wirft sich hinein. Dann wird er von den Flammen verschlungen und vernichtet – oder es scheint zumindest so. Denn aus der Asche des alten Vogels erhebt sich ein neuer, junger Phönix.
Taorun sagte mir, daß vor etwas mehr als tausend Jahren eines der Jehangli-Orakel – Kinder, die in die Zukunft schauen können – einem Jehangli-Adligen prophezeit hatte, er werde eine Dynastie gründen, die ewig andauert. Denn es gibt einen kurzen Zeitraum, bevor seine Federn fest genug zum Flug geworden sind, in der man einen jungen Phönix fangen kann, wenn man nur genug Macht hat.
Taorun wollte mir nicht alles sagen, denn er hielt sich immer noch an den tiefsten seiner Schwüre, aber dieser Adlige fing einen jungen Phönix und wurde dadurch Kaiser. Der Anker dieses Käfigs aus Magie jedoch, in dem sich der Phönix befindet, ist laut Taorun ein Ungeheuer, ein Geschöpf aus einem Alptraum. Er hatte es einmal gesehen und fürchtete sich, darüber zu sprechen. Aber ich war neugierig, und ich muß gestehen, daß ich ihn eines Abends mit Reiswein bewirtete, um ihm die Zunge zu lösen. Endlich beschrieb er also dieses schreckliche Ungeheuer, das unter dem Eisentempel auf dem Kajhenral angekettet ist. Könnt Ihr Euch mein Entsetzen vorstellen, als mir klar wurde, daß er von einem Drachen aus dem Norden sprach? Er wußte nicht, was es war, denn es gibt in Jehanglan keine Drachen. Und noch schlimmer …«
Taren hielt inne und biß sich auf die Lippe, als wären seine nächsten Worte unerträglich schmerzlich. Schweigen senkte sich über den Raum. Endlich holte er schaudernd Luft und fuhr im Flüsterton fort: »Ich habe dem jungen Mann, der mich hierhergebracht hat, nichts davon gesagt, denn ich fürchtete, es würde ihn zu sehr aufregen. Ihr müßt wissen, daß eine Freundin von ihm ein Drachenlord ist.
Aber Taorun sagte mir auch, daß in den ältesten Aufzeichnungen Andeutungen existierten, daß das Geschöpf sich von einem Menschen in einen Drachen verwandeln könne!« Aufruhr brach aus.
Einen Arm immer noch um Boreais Hals geschlungen, sah Maurynna sich um und mußte nun wirklich lachen. Es entsprach dem Brauch, den jüngsten Drachenlord – in diesem Fall sie – mit »Kleine« anzureden, aber im Fall dieses besonderen Werdrachens war das eine ausgesprochene Absurdität.
Lleld Kemberaene hockte auf dem Zaun wie ein Vogel mit roter Mütze und betrachtete Maurynna mit übertriebener Unschuld. »Ah. Schon viel besser. Ja, es würde wirklich albern aussehen, oder? Wenn du dich in deiner ganzen Länge auf meinem Schoß zusammenrollen würdest, meine ich.«
Die winzige junge Frau stellte sich auf die oberste Stange des Geländers und stolzierte dort so unbeschwert darauf entlang, als wäre sie auf der Straße zum Schloß. Sie sprang in die Luft, vollführte einen Salto, landete dann auf dem Boden und richtete sich wieder zu ihrer vollen Größe auf, die etwa der eines zehnjährigen Kindes entsprach – eines etwas klein geratenen zehnjährigen Kindes.
Maurynna klatschte Beifall; Boreal stampfte auf und schnaubte bewundernd.
»Ich danke Euch, Euer Gnaden, und dem edlen llysanischen Hengst«, erklärte Lleld und verbeugte sich mit großer Geste.
Maurynna wußte, daß Lleld, bevor sie sich zum ersten Mal verwandelt hatte, Akrobatin in einer Gruppe umherreisender Schausteller gewesen war. »Du hast deine
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