Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
alten Fähigkeiten nicht verloren, nicht wahr?« fragte sie mit einem Hauch von Neid, als sie sich an ihre eigene ungeschickte Landung erinnerte. Würde sie selbst auch dieses Glück haben, oder würde sie, wenn sie zu lange im Drachenhort eingeschlossen war, nach einiger Zeit vergessen, wie man Wind und Wellen las? Das plötzliche Bedürfnis, einen Möwenschrei zu hören, er schlitterte Maurynna bis in die Seele. Wieder konnte sie kaum atmen.
»Nein, das habe ich nicht vergessen«, meinte Lleld. »Es ist zu nützlich, wenn ich als Echtmensch reise.« Sie warf ihre Mähne feuerroten Haares zurück. »Ist Linden wieder widerwärtig zu dir?« fragte der winzige Drachenlord, die Hände auf die Hüften gestützt.
Maurynna schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an und lächelte dünn. »Das ist nicht ganz seine Schuld, Lleld, und das weißt du auch. Obwohl ich mir wirklich wünschte, daß er sich bei der Herrin für mich einsetzen würde; mir hört sie nämlich nicht zu.
Nein«, fuhr Maurynna fort. Sie hielt inne und begann, ein paar Strähnen von Boreais langer schwarzer Mähne zu flechten. »Im Augenblick geht es um etwas anderes. Einer meiner Freunde aus der Zeit, bevor ich mich verwandelt habe – mein ältester Freund, wir sind zusammen aufgewachsen –, ist hier. Mir … mir ist nie klar gewesen, daß er erwartet hat, wir würden eines Tages heiraten. Ich hätte das wohl wissen sollen; ich habe ihn allerdings nie als etwas anderes als einen Freund betrachtet.«
»Das konntest du auch nicht«, sagte Lleld. »Unsere Drachenhälften wissen, daß wir auf einen anderen warten, und halten uns zurück. Man muß uns zum Heiraten drängen.«
Der Zopf wollte nicht so recht gelingen. Maurynna löste ihn wieder. »Wie man Linden vor vielen hundert Jahren gezwungen hat.«
»Genau.« Lleld legte den Kopfschief. »Aber ich nehme an, es geht dir nicht um die verletzten Gefühle deines Freundes; so hat es jedenfalls nicht ausgesehen, als du über diesen Zaun gesprungen bist. Was ist es also?«
Unter Maurynnas ungeschickten Fingern wurde die Mähne des Hengstes nur noch wirrer. Verbittert sagte sie: »Mein bester Freund Raven glaubte ebenfalls, mich vom Meer fernhalten zu können.« Der Verrat tat weh. Sie wußte, daß es noch lange weh tun würde. Sie erklärte, welche Pläne Raven für sie beide gehabt hatte.
Lleld lauschte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Maurynna, wir müssen eine Möglichkeit finden, daß du wieder auf dein Schiff kommst. Um aller Götter willen, du warst schließlich Kapitän! Ich muß ehrlich zugeben, daß ich nicht verstehe, wieso du die Berge verlassen möchtest – ich habe noch nie von einem Drachenlord oder einem Echtdrachen gehört, der sie nicht liebte –, aber verdammt, es ist einfach ungerecht.«
Trotz des Trostes, den es ihr gab, daß ihre Gefühle ernst genommen wurden, hatte Maurynna plötzlich eine üble Vorahnung, als sie das boshafte Lächeln auf den Lippen des kleinen Drachenlords bemerkte. Sie kannte Lleld erst seit ein paar Monaten, aber auf der Reise zum Drachenhort hatte Linden ihr viele Geschichten über diese kleine Unruhestifterin erzählt. »Niemand, der so klein ist«, hatte er sich wieder und wieder beschwert, »sollte derart boshaft sein.«
»Lleld«, sagte Maurynna erschrocken, denn wenn selbst nur die Hälfte von Lindens Geschichten der Wahrheit entsprachen, war dieser Drachenlord zu Recht als »Lady Unruh« bekannt. »Was hast du jetzt schon wieder vor?«
»Oh, nichts«, meinte Lleld leichthin. Und dann: »Hast du gesehen, wie Kelder heute früh nach Norden geflogen ist? Ich habe so eine gewisse Ahnung, was das angeht.«
Noch ein Grund, sich Sorgen zu machen: Lleld und ihre »Ahnungen« – oder »Spekulationen«, wie die anderen sie nannten, wenn sie höflich sein wollten – waren im Schloß nur zu gut bekannt. Und wie Lleld Linden bei jeder nur möglichen Gelegenheit erinnerte, entsprachen sie manchmal sogar der Wahrheit.
Nun wußte Maurynna auch, welchen Drachenlord sie an diesem Morgen erblickt hatte. Aber was sollte Kelder Oronin, den Seelengefährten der Herrin des Drachenhorts, so eilig nach Norden führen? Alles, was ihr zu sagen einfiel, war ein lahmes »Oh?«
Lleld ließ sich nicht lange bitten. Sie stürzte sich begeistert in ihre letzte unglaubliche Theorie. Maurynna konnte nur den Kopf schütteln, während sie zuhörte, denn sie war zu verblüfft, um zu widersprechen.
Ein Schatten glitt über sie und war dann wieder verschwunden. Sie blickten
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