Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
erstaunt stehen.
»Der Phönix möge uns helfen! Zurück, Euer Majestät, zurück!« rief der Fährtenleser.
Xiane war starr vor Überraschung. »Was …«, begann er.
Dann sah er es.
Eine riesige grüne Schlange glitt aus dem dichten Unterholz und über den Boden auf den Rehbock zu. Sie war beinahe zwanzig Vri lang, und ihr Körper war so dick wie die Taille eines Mannes; Xiane hatte noch nie von so großen Schlangen gehört. Einmal, zweimal, dreimal wand sie sich um das tote Tier. Der Rehbock glühte in einem goldenen Licht; das Licht glühte noch heller auf, so daß Xianes Augen schmerzten, dann erstarb es. Die Schlange glitt über den Kadaver, rollte sich zusammen und ruhte dort wie auf einem Thron. Sie starrte die Männer an. Ihre gespaltene Zunge glitt zwischen den schuppigen Kiefern hervor, und Blut tropfte auf den Rehbock.
Ein Pfeil schoß vorbei. In dem Augenblick, als er an ihm vorbeisauste, erkannte Xiane die Farben der Federung. Natürlich war es V’Choun, der auch in dieser Situation einen klaren Kopf bewahrt hatte; der alte Armeegeneral hatte schon viel Schlimmerem gegenübergestanden, dachte Xiane beinahe hysterisch und erinnerte sich an V’Chouns verstorbene Frau.
Der Pfeil traf direkt in die schuppige Kehle – und ging hindurch wie durch Luft. Die Schlange reckte und reckte sich, riß das Maul auf und enthüllte gifttriefende Zähne, als wollte sie die gesamte Jagdgesellschaft verschlingen, Pferde ebenso wie Menschen.
Während der Mann, den sie insgeheim als den »Dämon« bezeichnete, im Bad vor sich hin planschte und sang, zufrieden mit der Arbeit der vergangenen Nacht, erhob sich Nama mühsam vom Bett und zog ihr Gewand über. Dann ging sie zum Schreibtisch und setzte sich hin. So leise sie konnte, öffnete sie eine Schublade und zog ein Blatt Reispapier unter der Sandelholzmatte hervor, die den Schubladenboden bedeckte.
Nama zählte die Tage seit dem letzten Mond, zählte sie wieder und wieder. Wie betäubt legte sie das Papier beiseite, auf dem sie die Tage und Phasen des Mondes verzeichnet hatte.
Nein, sie hatte keinen Fehler gemacht. Es war wahr. Galle stieg ihr in die Kehle, und sie schlug die Hände vors Gesicht.
»Was ist?« fragte Zuia hinter ihr.
Nama zuckte zusammen. Sie hatte nicht gehört, daß die Zofe das Schlafzimmer betreten hatte. Sie griff nach dem Papier und versuchte, es wieder in die Schublade zu stecken.
Grobe Hände entrissen es ihrem Griff. Nama biß sich auf die Lippen, während Zuia das Blatt betrachtete. Endlich lachte die Zofe leise: »Ihr habt noch nicht geblutet, nicht wahr?« fragte Zuia.
»Ja«, flüsterte Nama.
»Also seid Ihr endlich schwanger?«
»Ja.« Sie drückte die Augen fest zu und versuchte, nicht zu weinen. Der Gedanke, das Kind ihres Vergewaltigers zu tragen, bewirkte, daß ihr übel wurde.
Der Schlag ins Gesicht war heftig genug, um ihr den Kopf zurückzureißen. Sie schrie auf. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Närrin!« fauchte Zuia. Sie fuchtelte mit dem Blatt vor Namas Gesicht herum. »Ihr hättet es mir sofort erzählen müssen. Nun wird Fürst Jhanun sich mit seinen Plänen beeilen müssen.«
Nama legte die Hand auf die brennende Wange, als Zuia aus dem Schlafzimmer eilte. Sie hörte, wie die Zofe das Haus verließ, zweifellos um ihren Herrn über das lang erwartete Ereignis zu informieren. Nama sackte auf dem Stuhl zusammen.
Wenn sie sich nur die Pulsadern oder die Kehle durchschneiden könnte! Aber Zuia hatte nach Namas erstem Versuch, ihre Qualen zu beenden, alle scharfen Gegenstände aus dem kleinen Haus entfernt. Nama hatte versagt; sie hatte geglaubt, sie müsse sich nur mit der Klinge über die Handgelenke ritzen. Nun wußte sie, daß sie tiefer, viel tiefer schneiden mußte, wo das hellrote Herzblut floß.
Am selben Tag waren alle Schnüre und Schärpen aus dem Haus entfernt worden, damit sie sich nicht aufhängen konnte. Nama dachte daran, die seidenen Bettlaken in Streifen zu reißen und zu einem Seil zu flechten. Aber sie würde nie damit fertig sein, bevor Zuia zurückkehrte. Und außerdem, womit sollte sie die Seide schneiden? Sie war nicht stark genug, sie zu zerreißen. Und schon die Tücher zu berühren, die nach dem Schweiß des Dämons stanken und nach … nach … .
Sie krümmte sich und übergab sich. Als sie fertig war, wischte sie sich den Mund und setzte sich wieder aufrecht hin.
Wenn ich nur eine Freundin hätte, die mir hilft, diese Schande zu beenden – eine Freundin, die mir ein Messer
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