Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
was immer wir wissen. Aber die Diener sagten mir, er sei früh an diesem Morgen abgereist. Und dann – ich weiß nicht, warum – ist mir eingefallen, ich könnte mich erkundigen, welche Balladen er sich angesehen hat; berufliche Neugier, nehme ich an.«
»Selbstverständlich«, murmelte Linden.
Otter warf ihm einen Blick zu, dann lachte er und gab mit einer hilflosen Geste zu, besiegt zu sein. »Also gut. Es war schlicht und ergreifend nur Neugier. Jenna gab mir die Bücher, die Leet während seines Aufenthalts gelesen hat, und wir blätterten sie durch. Es war eine recht grausige Angelegenheit.«
Linden zog erstaunt die Brauen hoch. Das war in der Tat nicht zu erwarten gewesen. »Wirklich?«
»Ein gewisser Culwen aus Cassori hatte unangenehmes Interesse an Blutmagie, Heimsuchungen, Morden und anderen solchen Dingen; er versuchte, so viele dieser alten Geschichten wie möglich zu sammeln und aufzuzeichnen. Unangenehmer Lesestoff, wie ich schon sagte, wenn man es überhaupt schafft, sich durch sein ganzes Geschwätz zu den Geschichten selbst vorzuarbeiten. Einige seiner Bücher sind schließlich hier gelandet.«
Otter zuckte zusammen, als wäre ihm plötzlich kalt. »Ihr wißt schon, welche Geschichten ich meine – Der Geisterwolf aus dem Lachlanwald, Die graue Carra, Die schleichende Hand –, all diese Geschichten, mit denen man kleinen Kindern Alpträume verschafft. Culwen schien sich besonders für die Geschichten über Gull den Blutsäufer zu begeistern.«
»Ich wünschte, es wäre nur eine Geschichte gewesen«, murmelte Lleld.
»Er war kein Mythos, Otter«, sagte Linden auf Otters überraschten Blick hin. »Dieser Mann hat tatsächlich existiert und hat wirklich so viele umgebracht. Ich erinnere mich, daß ich davon gehört habe, als sie ihn schließlich erwischten; es ist nur etwa zweihundert Jahre her.«
Otter schauderte. »Er hat tatsächlich Blut getrunken, um jung zu bleiben? Ihr Götter, das ist ja widerlich.«
»Das ist es. Und noch schlimmer, er hat es genossen, diese Menschen zu foltern und zu töten.« Linden rieb sich das Kinn. »Also gut – hoffen wir, daß die Hexenfichte, die sie auf sein Grab gepflanzt haben, seine Seele immer noch dort drinnen hält. Wenn diese Bäume sich tatsächlich, wie es in den Geschichten heißt, vom Bösen ernähren, dann sollte das Ding inzwischen riesengroß sein.«
»Aber wieso sollte dieser Leet sich mit derartigen Geschichten befassen? Um ein Lied über eine von ihnen zu schreiben?« fragte Lleld.
»Der doch nicht«, meinte Otter. »So etwas wäre ihm nicht gut genug. Geschichten von tapferen Königen und schönen Königinnen, Helden des Schlachtfelds oder durch ein schreckliches Schicksal getrennte Liebende – adlige, junge Liebende - passen besser zu ihm. Schade, daß er nie mit Taren gesprochen hat, wenn ihm solche Dinge gefallen.«
»Wie meinst du das?« fragte Linden.
»Ich habe mich mit ihm hin und wieder über Jehangli-Legenden unterhalten. Einige von ihnen sind sehr unheimlich«, erklärte der Barde. »Dennoch, es kommt mir irgendwie seltsam vor.«
Lleld seufzte. »Ja, das mit Leet ist wirklich merkwürdig. Aber ich fürchte, wir werden nie erfahren, warum er es getan hat.«
»Wahrscheinlich nicht, nein«, stimmte Linden zu.
»Verflucht«, meinte Lleld. »Ich hasse es, etwas nicht zu wissen.«
»Sind die Tauben schon bereit?« fragte Pah-ko Deeh, während er beobachtete, wie die Schreiber die letzten Botschaften auf kleine Streifen kritzelten. Auf jedem standen dieselben rätselhaften Worte: Graues Land – weiterleiten.
»Das Taubenmädchen setzt sie jetzt in ihre Körbe, Heiliger.«
»Gut«, sagte Pah-ko. »Dann werde ich auf dem Turm auf sie warten.« Er machte eine Geste, und zwei kräftige Diener kamen auf ihn zu. Sie bildeten mit Händen und Unterarmen eine Sänfte; er setzte sich und stützte sich mit beiden Händen auf die Schultern der Männer. Er haßte es, sich innerhalb des Tempels so zu bewegen, aber er hatte dieser Tage zu viele Schmerzen für lange Wege wie den zum Turm, von den steilen Treppen nicht zu reden. Sie machten sich auf den Weg, und Hodai stapfte hinter ihnen drein.
Als sie das Turmdach erreichten, war das Taubenmädchen bereits mit den Helfern dort. Kleine Körbe bedeckten den größten Teil des Bodens. Leises Gurren hing in der Luft; Hodai lächelte entzückt, kniete sich neben den nächststehenden Korb und spähte durch die kleine Öffnung im Deckel.
Das Mädchen und ihre Helfer verbeugten sich, als sie
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