Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
Magie beobachten.
Der Nira stand vor dem Altar im heiligsten Gemach des Tempels auf dem Kajhenral. Es bildete den symbolischen Mittelpunkt des Gefängnisses des Ungeheuers, so wie er Nira Pah-ko, der lebendige Mittelpunkt war.
Vom Sockel des Altars gingen Symbole der Macht aus, eingelegt in Gold, dem heiligen Metall des Phönix. Diejenigen, die sich unter seinen Füßen befanden, waren bereits warm und bebten vor Macht. Wolken von Räucherwerk wirbelten um ihn her.
Sein Orakel kauerte sich neben sein rechtes Bein; Pah-ko brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, daß Hodai sich in den Krallen des Phönix befand. Er spürte, wie das Kind bebte und zuckte.
Der Nira hatte die Augen geschlossen und zeichnete mit geistigen Fingern die Linien der latenten Macht der geringeren Priester nach, die für diesmal sich im selben Raum aufhalten durften. Überall im Reich waren die Priester alarmiert worden, ihm von ihren eigenen Tempeln aus bei dieser Zeremonie zu helfen. Jene, die hier bei ihm waren, waren die glücklicheren. Sie hatten das Privileg, sich direkt im Herzen der Zeremonie zu befinden, an der sie teilhaben durften. Der wichtigste unter ihnen war Deeh, der Mann, von dem Pah-ko glaubte, er sei Jehanglans einzige Hoffnung, wenn er einmal sterben würde.
Als Hodais Atem sich veränderte, legte Pah-ko die Hände auf den Altar. Ebenso wie seine Brudersteine vor mehr als tausend Jahren aus einem einzigen riesigen Block weißen Quarzes in der Höhle unter dem Tempel geschnitten, war dies der größte Schutzstein; die anderen ruhten in Türmen im Süden, Osten und Westen. Nun bebte er unter Pah-kos Händen und zog Energie aus der Magie der unheiligen – unglückseligen, verbesserte Pah-ko im Geist – Kreatur, die in der Höhle angekettet war.
Pah-ko begann mit seiner Rezitation. Einer nach dem anderen schlössen sich die übrigen Priester in einem sorgfältig orchestrierten Tanz der Stimmen an. Vor seinem geistigen Auge sah der Priester die Stimmen als Fäden, als Bestandteil eines Wandbehangs, den nur er weben konnte.
Mit einem Teil seines Geistes begab er sich in die obere Welt, in das Graue Land, das man normalerweise nur in Träumen oder in Trance besuchte. Während er auf die Macht aus den anderen Tempeln wartete, spürte er erst die eine, dann die andere Präsenz in der oberen Welt.
Bist du sicher, daß du das tun willst, fragte eine körperlose Stimme. Pah-ko erkannte Zhantse, den Seher der Tah’nehsieh, einen Freund und Gegner.
Das ist nicht der Weg, fauchte eine weitere Stimme in seinem Kopf; Ghulla, die Zharmatianerin, war erheblich weniger sanft. Gib ihnen doch ihren Verwandten zurück.
Mach ein Ende, drängte Zhantse. Gib es zu, Pah-ko, du hast schon lange daran gedacht, sowohl den Drachen als auch den Phönix zu befreien.
Das habe ich, stimmte Pah-ko zu. Aber nicht auf diese Art; das wäre zu schnell Katastrophe auf Katastrophe würde folgen …
Ghulla sagte: Es gibt keine sanfte Art, dies zu tun. Die wilde Magie ist viel zu lange schon gefangen gewesen. Die Dinge müssen sich entfalten, wie sie sollten.
Ich tue, was ich tun muß, erwiderte Pah-ko. Ich schütze Jehanglan. Er wandte den Geist von ihnen ab, denn nun »sah« er die Stränge der Macht, die in anderen Tempeln für ihn heraufbeschworen wurden. Zhantse und Ghulla blieben noch einen Augenblick, dann verschwanden sie. Obwohl er wußte, daß sie recht hatten, war Pah-ko erleichtert; er brauchte all seine Aufmerksamkeit für die Aufgabe, die vor ihm lag.
Faden um Faden wob er die Magie, um Jehanglan vor der sich nähernden Invasion zu schützen. Es war schwer, so viel Macht zu beherrschen – Macht, die sich ihm zu widersetzen schien. Was, wenn er versagte? Der Rückschlag würde ihn und jeden anderen in diesem Raum töten. Schweiß lief ihm über den Rücken, als er sich Hodais verkohlte Leiche vorstellte.
Der Wandteppich der Macht begann sich aufzulösen. Hier und da wurde eine Stimme schwächer. Hodai wimmerte verängstigt.
Keuchend verbannte Pah-ko das schreckliche Bild vom Tod seines Orakels aus seinem Kopf und griff nach den Fäden der Magie. Die Stimmen kehrten wieder, wahr und stark, und schwollen zu einem Gesang, der ihn vor sich her trug. Die Hände seiner Vorstellung flogen sicher und rasch hin und her, Kettfäden und Schußfäden, und der Wandteppich wuchs, bis das Abbild des Phönix seinen Geist erfüllte und sang wie die Sonne.
Und wie die Sonne wärmte und brannte es zugleich. Er ertrug den Schmerz ohne Klage. Er war der
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