Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
Palast und bringe Xahnu und Xu hierher, wenn sie von ihrem Mittagsschlaf erwachen.«
Der Hohepriester verbeugte sich vor ihr und sagte: »Dann kommt hier entlang, Erlauchte Phönixherrscherin. Es gibt ein paar Räume, die die kaiserliche Familie bei ihren Besuchen nutzt. Ich werde Euch dort hinbringen.«
Murohshei machte sich auf den Weg, und Shei-Luin folgte dem Priester.
Der Tunnel endete in einer riesigen Höhle. Maurynna duckte sich auf den Höhlenboden. Sie hielt das Kaltfeuer vor sich, aber der Raum war so riesig, daß das Licht ihr nichts weiter zeigte.
Dann drosch wieder der Willen des Anderen auf ihren ein, und das Kaltfeuer erstarb.
25. KAPITEL
Wieder drückte Shima die Schulter gegen den runden Felsblock. Diesmal schob er so fest, daß seine Gelenke knackten und ihm schwarz vor Augen wurde.
Nichts.
Vielleicht war es die beinahe übermenschliche Anstrengung, vielleicht nicht. Aber plötzlich war die Welt wieder zu scharf und zu klar geworden. Verblüfft schob Shima ein letztes Mal.
Der Felsblock rollte mit einer Leichtigkeit aus seinem Bett, die Shima verblüffte. Er fiel auf Hände und Knie nieder. Irgendwie hatte er noch genügend Verstand bewahrt, um nach unten zu schauen.
Der Stein wurde auf dem Weg den Abhang hinab schneller. Mit einem Geräusch wie Donnern riß er andere Steine mit sich. In wenigen Augenblicken war aus dem einzelnen Stein eine Lawine geworden.
Das Entsetzen auf den Mienen der Soldaten traf Shima bis in die Seele. Diese bedauernswerten Männer hatten kaum Zeit zu schreien, bevor sie wie Insekten zerdrückt wurden.
Ihm war übel. Es war nicht das erste Mal, daß er einen Menschen getötet hatte; er war zwar kein Krieger, aber er hatte einmal gekämpft, um sich, seine Familie und die anderen bei der Frühlingspilgerfahrt zum heiligen Berg der Herrin zu verteidigen, als sie von einer Patrouille von Jehangli-Kriegern angegriffen wurden. Aber das war ein direkter Mann-gegen-Mann-Kampf gewesen. Dies hier …
Er schüttelte den Kopf. Er hatte keine andere Wahl gehabt, als die Waffen zu benutzen, die zur Verfügung standen; nun sollte er lieber dafür sorgen, seine eigene Haut zu retten. Nachdem der Felsen verschwunden war, hatte er kein Versteck mehr. Und nicht alle Jehangli waren unter die Lawine geraten; er sah mindestens zwei, denen es gelungen war, sich in Sicherheit zu bringen. Nun spiegelte sich auf den Gesichtern, die sich ihm zuwandten, tierische Wut und Rachedurst; eine Gier, die nicht befriedigt sein würde, ehe sie ihn auf ihre Speere aufgespießt hatten und sein Blut fließen sahen, während er langsam starb.
Shima sprang auf und rannte.
Murohshei saß im Kinderzimmer und wartete geduldig darauf, daß die Jungen aufwachten. Er wußte aus bitterer Erfahrung, wenn man sie früher weckte, dann würde Xhanu den Rest des Tages mürrisch sein. Er lächelte auf den kleinen zukünftigen Kaiser nieder, der friedlich mit dem Daumen im Mund schlief, die dunklen Wimpern wie Halbmonde über den Wangen. Sein Bruder lag neben ihm, ein Lächeln auf dem rundlichen Gesicht.
Zyuzin ließ sich neben ihn auf ein Kissen fallen. »Es wird eine Weile dauern«, flüsterte er bedauernd. »Weil sie erst vor kurzem eingeschlafen sind.« Er nickte den Kinderfrauen zu, die ein Stück entfernt saßen, die Köpfe zusammengesteckt hatten und tratschten. »Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um sie in den Schlaf zu singen.«
Murohshei zuckte die Achseln. »Na und – der Tempel wird später immer noch da sein, und unsere Herrin versteht es.«
Bösartigkeit lauerte in diesem Dunkel; wenn sie einen weiteren Schritt machte, würde sie sich auf sie stürzen wie eine Schneekatze auf ihre Beute. Sie wagte nicht, ein weiteres Kaltfeuer herbeizurufen. Ehe sie keine bessere Vorstellung davon hatte, was sich hier befand, würde sie ihre eigene Position nicht verraten. Sie hatte nie zuvor Angst vor dem Dunkeln gehabt, aber das hier erschreckte sie. Wenn nur Linden bei ihr gewesen wäre – wenn nur irgendwer bei ihr gewesen wäre.
Aber die Finsternis war nicht das Schlimmste. Denn nun griff der Gestank sie an wie ein lebendes, böswilliges Wesen. Er überwältigte sie beinahe; sie drückte die Hand auf den Mund und zwang ihren rebellierenden Magen zur Ruhe. Der beißende Gestank wand zahllose Finger um sie und brachte ihr Tränen in die Augen. Sie fragte sich, ob sie je imstande sein würde, diesen Gestank wieder abzuwaschen.
Die Götter mögen mir beistehen, dachte sie und wischte sich die Augen.
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