Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
Sie konzentrierte sich darauf, durch den Mund zu atmen (obwohl das wenig nutzte). Hat der arme Phakos die ganze Zeit in seinem eigenen Dreck gelegen? Wieder drehte sich ihr der Magen um.
Sie holte vorsichtig Luft, flach und zögernd. Der Gestank nach Exkrementen war beinahe überwältigend, aber was schlimmer war, darunter roch sie faulendes Fleisch und altes, verrottendes Blut. Wieder atmete sie angewidert durch den Mund. Morien hatte recht gehabt; Pirakos’ Ketten hatten sich ins Fleisch geschnitten wie ein Seil, das um einen jungen Baum gebunden wird, von dem wachsenden Holz bedeckt wird. Der Gedanke an seinen Schmerz ließ ihr die Knie zittern.
Dennoch, es nützte nichts, hier stehenzubleiben. Sie schlurfte ein wenig tiefer in die Höhle.
Etwas stieß gegen ihren Fuß; sie stolperte. Bei dem Versuch, das Gleichgewicht zu bewahren, trat sie fest auf einen Brocken, der mit einem trockenen Knacken zersplitterte und sie endgültig zu Boden fallen ließ.
Sie landete mit der Hand auf einem runden Stein. Aber als sie die Finger darum schloß, rutschten sie in zwei Öffnungen. Maurynna hielt den Atem an und tastete weiter.
Es war kein Stein. Es war ein Schädel. Ein Menschenschädel.
»Ich muß wissen, wie es meinem Bruder geht«, sagte Tefira. »Ich weiß, welchen Weg er genommen hat. Selbst ich habe die Wege durch dieses Ödland gelernt. Ich habe gelauscht, wenn sich die Späher unterhielten, und mir die Landkarten angesehen, die sie in den Boden gekratzt haben. Ich … ich wußte nur nie, wo sich das eigentliche Lager befindet.«
Raven wußte, daß es gefährlich war … wenn nicht schlimmer – es war nutzlos. Unbewaffnet wie sie waren, konnten sie Shima nicht helfen. Aber er konnte Tefira auch nicht widersprechen. Das war eine Verwandtschaftsangelegenheit. Also nickte er nur und sagte: »Also gut.«
Tefira stürmte davon wie ein Rennpferd. Raven eilte ihm hinterher, und nur seine langen Beine ermöglichten es ihm, mit dem Jungen Schritt zu halten. Auf und ab rannten sie, wichen Felsen und stachligen Pflanzen aus, bis sie einen Hügelkamm erreichten. Dort duckten sie sich zwischen die Felsen, damit sie sich nicht vor dem Himmel abzeichneten. Unter ihnen lag eine felsige kleine Schlucht. Raven schob ein paar Steine weg und legte sich flach auf den Bauch, vorsichtig darauf bedacht, seinen Kopf im Schatten zu halten, damit die Sonne sein Haar nicht leuchten ließ.
»Siehst du den Weg, der sich auf der anderen Seite direkt unterhalb des Hügelkamms entlangzieht? Ich denke, Shima wird versuchen, ihn zu erreichen; er führt zu einem Irrgarten von Wegen, auf die sich die Jehangli nicht wagen, wenn sie es vermeiden können. Manchmal jagen unsere jungen Krieger dort. Wir können den Weg von dieser Seite her ebenfalls erreichen.«
Tefira sagte nichts darüber, was die Krieger dort jagten. Raven nahm nicht an, daß es sich um Kaninchen handelte.
»Dort ist er!« Freude und Erleichterung schwangen in der Stimme des Jungen mit.
Raven sah, wie Shima den Hügelkamm überquerte und auf den Weg niederschlitterte. Einen Augenblick sah alles gut aus; der Tah’nehsieh rannte wie eine Bergziege. Im nächsten Moment rutschte Shima in einer Staubwolke den Abhang hinunter.
Dann hörte Raven, wie Befehle gebrüllt wurden, und wußte, daß die Soldaten im nächsten Augenblick den Hügelkamm erreichen würden.
»Ich danke dir, daß du zugelassen hast, daß Yesuin mit uns kommt«, sagte Linden und zügelte Shan neben Dzeduins Pferd am Ufer des Schwarzen Flusses.
Der Zharmatianer zuckte die Achseln und lächelte ein wenig schuldbewußt. »Da Yemal nicht hier ist … es kommt mir grausam vor, daß er die ganze Zeit in Ghullas Zelt sitzen muß. Selbst sie reitet immer noch gern«, sagte Dzeduin und warf einen Blick zu der uralten Seherin hin, die ohne Schwierigkeiten mit den anderen Schritt hielt.
Lleld sagte gerade etwas zu ihr, machte eine Geste zu Jekkanadar und Otter, und die Seherin brach in gackerndes Gelächter aus.
»Wie alt ist sie eigentlich?« wollte Linden wissen.
»Alt. Sehr alt. Ich glaube nicht, daß sie sich verändert hat, seit ich ein Kind war.« Dzeduin schauderte. »Ich will nicht wissen, wie sie es macht … ich will es wirklich nicht wissen.«
Sie ritten ein Stück weiter Seite an Seite. Dann sagte Dzeduin plötzlich: »Ich frage mich, wann sie es Yesuin sagen wird – sie hat nicht zugelassen, daß ich es tat.«
»Ihm was sagen?«
»Daß Xiane ma Jhi – der Kaiser, derjenige, der ihm das Leben
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