Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
Idioten, kommt schon«, flüsterte Shima, als spräche er zur Schafherde seiner Familie.
Aber leider hatte der Feldwebel ein wenig mehr Verstand als die wolligen Dummköpfe, die Shima einmal gehütet hatte. Der Mann blieb stehen, befahl seinen Soldaten, ebenfalls innezuhalten, und rief: »Aber, Herr, wo sind die Tah …«
Shima schnitt ihm das Wort ab. »Auf der anderen Seite selbstverständlich, du Idiot«, brüllte er wie ein Mann mit immer größer werdendem Zorn. »Die anderen halten sie in Schach. Jetzt bewegt euch, ihr elenden Brocken Eselsscheiße, sonst stelle ich euch vors Kriegsgericht!«
Nun stiegen die Männer weiter, und das schneller als vorher. Sie wollten lieber bewaffneten Tah’nehsieh gegenüberstehen, als der Strafe für Feiglinge ausgesetzt zu sein. Shima hatte mit dieser Angst gerechnet.
Näher … näher … noch ein paar Schritte … jetzt!
Shima drückte die Schulter an den Felsen und schob.
Der große Stein rutschte ein wenig – aber nicht mehr geschah. Fluchend versuchte Shima es wieder. Er mußte es einfach schaffen! Denn sonst würden sie sich auf ihn stürzen, und er wäre so gut wie tot.
Wieder versuchte er es. Der Stein rührte sich nicht von der Stelle.
Und nun konnte er schon das schwere Atmen der Soldaten hören, als sie auf ihn zukletterten.
Shei-Luin ging zum Altar des Phönix in Rivasha, dem heiligsten der Tempel in Jehanglan, und entzündete neun Räucherstäbchen. Sie steckte sie in den goldenen Ständer und senkte den Kopf im Gebet. Sie betete für Jehanglan, um die Sicherheit ihrer Kinder, um Yesuins Sicherheit und für Xiane, auf daß er Schutz unter den Fittichen des Phönix finden möge. Sie betete um die Kraft, alles tun zu können, was getan werden mußte, um das Kaiserreich zu führen, bis ihr Sohn alt genug war. Sie betete darum, daß Fürst Jhanun in ihre Hände fallen möge; sie würde das Unrecht rächen, das er Nama angetan hatte.
Als sie fertig war, wandte sie sich dem wartenden Oberpriester zu. »Ich möchte den Palast des Phönix sehen«, sagte sie.
Einen Augenblick lang befürchtete sie, er werde sich weigern; immerhin war sie nur eine Frau.
Aber sie war auch die Kaiserin von Jehanglan. Er verbeugte sich und sagte: »Hier entlang, Erlauchte Phönixherrscherin«, und führte sie durch eine Passage hinter dem Altar.
Dort erreichten sie eine Treppe aus weißem Marmor, der sich bis ganz zum Gipfel des heiligen Berges Rivasha erstreckte. Am Ende dieser Treppe gab es einen Turm, ebenfalls aus weißem Marmor. Shei-Luin hatte eine Sänfte zum Tempel genommen; der Weg vom Fuß des Berges bis zum Tempel war weit. Hier fragte sie nun nicht danach; selbst Kaiser gingen zu Fuß zum Phönix; sie raffte ihre Gewänder und machte sich auf den Weg. Als der Priester Murohshei zurückhalten wollte, wandte Shei-Luin sich ihm zu.
Ihre Blicke begegneten einander und kämpften lautlos; dann senkte der Priester die Hand; Shei-Luin ging weiter, Murohshei folgte.
Endlich stand sie auf dem Turm. Vor ihr befand sich der Palast des Phönix, das geheiligte Herz von Jehanglan. Der Kajhenral war ein notwendiges Übel; dies hier, hatte man ihr gesagt, war nur Schönheit und Güte.
Aus den Belehrungen ihres Vaters wußte sie, daß dieser Berg einer der vielen erloschenen Vulkane Jehanglans war. Wie bei den meisten von ihnen war der Gipfel zu einer Schüssel eingesunken. Rings um den Krater befanden sich Hügel weißen Quarzes, die in der Sonne schimmerten.
Aber während viele dieser anderen erloschenen Vulkane Seen in ihren Kratern hatten, gab es hier nur Licht – ein reines weißes Licht, das tief im Krater einen goldenen Schimmer annahm.
Es sieht aus wie eine riesige, umgekippte Schüssel Sie hätte beinahe kichern müssen. Irgendwie hatte sie sich immer einen Palast vorgestellt wie den kaiserlichen Palast, in dem der Phönix auf einem Turm hockte. Das hier war, wie sie zugeben mußte, ein wenig enttäuschend – nur eine umgekehrte Lichtschüssel, wie die kleineren, in denen sich die Kronen befanden, und die verbarg, was auch immer …
Irgend etwas bewegte sich im Licht wie ein Schatten. Shei-Luin keuchte. Was immer es sein mochte, es war riesig gewesen. Nein, kein »was immer« – sie hatte den Phönix gesehen. Sie verbeugte sich, aber der Schatten war verschwunden.
Als sie zum Tempel zurückkehrte, sagte Shei-Luin zum Oberpriester: »Ich wünsche, daß meine Söhne dies sehen, um den Segen des Phönix zu empfangen. Ich werde hier auf sie warten. Murohshei, geh zum
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