Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
V'Thoun sofort zu überbringen. Wenn diese unglückliche Person gegen Euren Befehl verstoßen hat, kaiserliche Majestät, dann laßt mein Blut den Fehler wegwischen.«
Damit fiel der junge Offizier auf die Knie, ließ die Peitsche an ihrer Schnur vom Handgelenk baumeln und bot Xiane den Brief mit beiden Händen dar. Yesuin starrte die Peitsche an, die langen rötlichbraunen Haare, die mit leisem Zischen gegeneinander rieben, und fühlte sich mit plötzlicher, überwältigender Klarheit an die Pferdeschweifbanner der Zharmatianer erinnert.
Xiane nahm den Brief entgegen. »Das habt Ihr gut gemacht – Hauptmann.«
Der junge Offizier blickte verwirrt auf. »Aber Majestät, ich bin nur ein – oh!« Er grinste breit.
»Es war richtig, daß Ihr mir dies gebracht habt, obwohl eine Möglichkeit bestand, daß Ihr bestraft werdet. Kehrt in Eure Kaserne zurück und tauscht die Unteroffizierspeitsche gegen die eines Hauptmanns aus.«
Der Offizier berührte dreimal mit der Stirn den Boden. »Ich danke Euch, Erlauchter Phönixherrscher. Ich danke Euch!« Er erhob sich, machte die erforderlichen drei Schritte rückwärts, drehte sich dann um und ging mit beschwingtem Schritt davon.
Yesuin lächelte. »Das war nett von Euch, Xiane.«
Xiane schien verlegen, aber erfreut. »Er war ein tapferer Mann, der seine Pflicht getan hat. Ich hätte ihn töten können, und das wußte er. Irgendein Feigling von höherem Offizier hat ihm diese Aufgabe übertragen. Und jetzt wollen wir sehen, was V’Choun schreibt.« Er brach das Siegel auf dem gefalteten Blatt und las.
Xianes Gesicht verriet wenig. Aber Yesuin bemerkte, daß sein Gegenüber die Augen ein wenig weiter öffnete und sich der Rhythmus seines Atems geringfügig änderte. Dann zerknitterte Xiane den Brief mit einer Hand und starrte grimmig ins Leere.
Yesuin blinzelte. Zornig, glücklich, verblüfft, verletzt – er hatte Xiane in all diesen Stimmungen gesehen. Aber nicht ein einziges Mal mit einer solchen Miene. Ein Schauder lief ihm über den Rücken. »Was ist? Ist Kirano tot?« wagte er schließlich zu fragen. Der Phönix mochte Jehanglan beistehen, wenn das der Fall war; Yesuin war sicher, daß Kirano der einzige war, der den Kaiser von der Richtigkeit des Weges überzeugen konnte.
Zunächst schien Xiane ihn nicht zu hören. Dann schüttelte er den Kopf wie ein Taucher, der wieder an die Oberfläche kommt, und fragte: »Kirano? Nein, es geht Kirano gut. V’Choun sagt, sie müssen langsam reisen, aber ihm fehlt nichts.«
Lag eine leichte Betonung auf dem ›ihm‹? Yesuin hielt die Luft an.
»Aber V’Choun hat diesen Boten mit einer anderen, weniger willkommenen Nachricht geschickt. Yesuin – Vetter – es tut mir leid, aber V’Choun schreibt, daß dein Vater sehr krank ist. Der Tod steht ihm ins Gesicht geschrieben, sagt der General.«
Von allen Dingen war dies das letzte, was Yesuin erwartet hatte. Er hatte seinen Vater seit Jahren nicht gesehen; seine letzte Erinnerung war die an einen gesunden, kräftigen und mächtigen Mann, der den Becher des Lebens mit beiden Händen faßte und großzügig daraus trank, um anschließend vergnügt nach mehr zu brüllen. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sein Vater die Ecke eines Wagens ganz alleine hob, damit das neue Rad auf die Achse geschoben werden konnte! Wie konnte ein solcher Mann todkrank sein?
Ihm wurde schwindelig. Plötzlich kam ihm nichts mehr wirklich vor. Nur aus großer Entfernung hörte er eine Stimme, die wie die seine klang, sagen: »Wenn mein Vater stirbt, dann wird mein Bruder Temur. Sobald Yemal die Stämme zusammenrufen kann, wird er den Vertrag brechen. Der Vertrag, für den ich die Geisel bin. Und dann werde ich sterben.«
Wie ruhig seine Stimme klang! Wie betäubt fragte sich Yesuin, ob er plötzlich in einem Schauspiel aufgewacht war; der Schauspieler, der seine Rolle spielte, war recht gut. Er wirkte so tapfer …
Oder hatte er Mohn gegessen und träumte nun?
Eine Hand klammerte sich so fest um sein Handgelenk, daß es schmerzte. Aber der Schmerz brachte Yesuin aus dem Ödland der Trauer zurück, in das er davongeglitten war. Er starrte Xiane in die Augen, in Augen, die glühten und ihn so anschauten, daß er den Blick nicht abwenden konnte.
»Das wird nicht geschehen«, sagte Xiane. »Hast du mich verstanden? Es wird nicht geschehen. Du bist mein Freund, Yesuin. Ganz gleich, was dein Bruder tut, es wird unsere Freundschaft nicht brechen.«
Du bist mein Freund.
Yesuin hätte bei diesen
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