Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
niederwirft. Das Schiff zerbrach, und wir fielen ins Wasser wie Bohnen aus einem Krug. Jene, die nicht gleich ertrunken sind, klammerten sich an Wrackteile und versuchten, sich über Wasser zu halten. Aber ich mußte zusehen, wie meine Schiffsgenossen einer nach dem anderen untergingen, bis nur noch fünf übrig waren, die sich an den Mast klammerten: Ich selbst, Skua, Raene Segelmacher, Corby, Skuas kleiner Enkel und unser Schiffsjunge – und der Verwandtenmörder.«
Eine Träne lief über Lerches Wange. »Corby verlor den Halt und trieb davon. Sein Großvater folgte ihm. Ich sah, wie sie beide unter eine riesige Welle sanken, der letzten Welle dieses Höllensturms. Diese Welle war wie ein lebendiges Wesen; es wußte, wo sie waren, und wollte sie umbringen. Aber Raene, der Verwandtenmörder und ich – wir klammerten uns alle weiter an den Mast, mehr tot als lebendig, und ich hatte einen gebrochenen Arm. Wir wurden ans Ufer gespült und von einem der Stämme gefunden, die am Rand des eigentlichen Jehanglan leben. Man nahm uns als Sklaven.« Sie kniff nach den letzten Worten die Lippen fest zusammen.
Maurynna wußte, daß sie lieber keine Fragen über die Gefangenschaft stellen sollte. Also fragte sie: »Woher weißt du all das über den Verwandtenmörder? Er hat es euch doch sicher nicht erzählt, während er an Bord war – Skua hätte ihn nicht am Leben gelassen.« Denn sie hätte einen solchen Mann zweifellos über Bord geworfen oder sich einer Meuterei gegenübergefunden. Kein Seemann würde das Pech riskieren, das ein solch verfluchter Mensch über Schiff und Mannschaft bringen konnte.
Lerche schüttelte den Kopf. »Raene und ich haben es später herausgefunden, als wir ihn pflegten, während er Fieber hatte und zu phantasieren begann. Selbst in seinem Delirium schien er mit sich recht zufrieden zu sein. Nachdem wir die Geschichte gehört und begriffen hatten, warum uns dieses schreckliche Schicksal ereilt hatte, und warum unsere Kameraden gestorben waren, versuchte Raene, ihn zu ersticken. Die Wachen rissen sie los, bevor sie es zu Ende bringen konnte, und brachten sie weg. Ich habe sie nie wiedergesehen. Und der Verwandtenmörder …« Sie lachte verbittert. »Irgendwann später habe ich gehört, daß dieser Mistkerl einen Herrn gefunden hat, der zu ihm paßte. Er wurde ein bevorzugter Diener von Fürst Jhanun, der ebenfalls nichts als Verrat in seinem Herzen trägt. Sie paßten gut zueinander.« Sie seufzte tief. »Wäre er nur an dieser Krankheit gestorben; aber nein, die Schüttelkrankheit kann einen quälen, aber sie tötet nicht. Also verbarg er weiter seine Bosheit unter diesem liebenswerten Lächeln, und nur die Götter allein wissen, wieviel Schaden er noch weiteren unschuldigen Menschen zufügen wird.«
Liebenswürdiges Lächeln … Das Unbehagen, das an Maurynna genagt hatte, seit Lerche mit ihrer Geschichte begonnen hatte, brach über sie herein wie ein Eisberg. Ein liebenswertes Lächeln. Die Schüttelkrankheit. Sie erinnerte sich, von wem sie die Geschichte eines Mannes, der von einer Frau abgewiesen wurde, gehört hatte …
Sie konnte kaum atmen. »Lerche«, sagte sie, »wie hieß dieser Verwandtenmörder?«
Die Yerrin-Frau sagte empört: »Man spricht die Namen von …« Dann sahen sie einander an. Lerche hielt inne. »Sein richtiger Name«, sagte sie leise, »war Luchs Weidesohn.«
Es besteht immer noch die Möglichkeit …
»Aber …«
Maurynna saß totenstill und wartete auf Lerches nächste Worte.
»Aber er selbst nannte sich Taren Olmeins.«
Nachdem Lerche wieder ins Haus gegangen war, um das Abendessen vorzubereiten, saß Maurynna in Gedanken versunken da. Sie wollte es Raven nicht sagen. Es war schlimm genug, daß sich der Mann, den er einmal als Freund betrachtet hatte, als Verräter erwiesen hatte, aber einem Verwandtenmörder geholfen zu haben …
Nein, sie würde es ihm nicht erzählen. Noch nicht. Nicht, bevor sie Jehanglan verlassen hatten, denn sonst würde er sich jeden Augenblick Sorgen machen, wann die Strafe der Götter sie ereilen würde. Vielleicht würde sie es ihm erzählen, wenn sie wieder zu Hause in Schloß Drachenhort waren.
Schloß Drachenhort … sie schauderte. Ihr Götter – Schloß Drachenhort hatte einem Verwandtenmörder Gastfreundschaft gewährt. Planten die Götter jetzt selbst Rache an ihrem Zuhause?
Wenn sie dieses Unheil nur abwehren könnte!
An diesem Abend aß sie wenig und gab früh vor, Kopfschmerzen zu haben, und ging ins Bett.
18.
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