Drachenmeister
Piemur sein könnte. Wie es der Kleine geschafft hatte, in die Burg zu gelangen, war ihm zwar ein Rätsel, aber der Streich trug eindeutig Piemurs Handschrift. Und es sah dem Jungen auch ähnlich, ein Echsenei zu stehlen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Noch dazu ein Königinnenei! Mit halben Dingen gab sich Piemur nie zufrieden. Sebell lachte vor sich hin. Er gab Kimi den Befehl, den aufgeregten Echsenschwärmen zu folgen und in der Burg nach Piemur zu suchen. Vielleicht gelang es ihr, sein Versteck ausfindig zu machen.
Sie kehrte zurück und übermittelte Sebell die Nachricht, dass sie nicht an Piemur herankam. Es sei zu dunkel und zu eng. Als Sebell sich nach Einzelheiten erkundigte, wurde sie aufgeregt und sandte erneut ein Bild der Dunkelheit aus.
Die Suche wurde immer hektischer. Männer auf schnellen Rennern besetzten die Ausfallstraßen; sie hatten Befehl, sämtliche
Gäste, die das Fest verließen, zu durchsuchen. Sebell sandte Kimi an den vereinbarten Treffpunkt, damit sie N’ton warnen konnte. Als Kimi mit Tris zurückkehrte, wusste der Harfner, dass seine Warnung gerade noch rechtzeitig gekommen war. Tris ließ sich neben Kimi nieder und zirpte leise, als wollte sie ihm sagen, dass er sie jederzeit losschicken könne, wenn er N’ton benötigte.
Inzwischen standen beide Monde am Himmel und erhellten die Szene, doch obgleich Merons Leute das Burggelände Meter um Meter durchkämmten, blieben ihre Anstrengungen vergeblich. Erleichtert über Piemurs Versteckkünste, kauerte sich Sebell im Schatten der ersten Hütte unterhalb der Burgrampe nieder und wartete. Er konnte die Wachtposten gut beobachten und hatte auch einen Großteil des Hofes im Blickfeld.
Rufe und ärgerliches Geschimpfe weckten ihn aus einem unruhigen Halbschlaf. Wächter trieben die Neugierigen, die vor dem Burgtor herumlungerten, zurück zum Festplatz.
»Los jetzt!«, riefen die Männer. »Geht zu den Zelten oder zu euren Weideplätzen! Morgen früh könnt ihr heimkehren. Es hat keinen Sinn, hier herumzustehen. Marsch, verschwindet!«
Die Monde waren untergegangen und man hatte die Leuchtkörbe verdunkelt. Die Burg verschmolz mit der Finsternis. Nur durch die Fensterlädenritzen im ersten Stock, wo Merons Räume lagen, schimmerte Licht. Sebell zog sich tiefer in den Schatten zurück; er befahl den beiden Echsen, sich nicht zu rühren und die Augen zu schließen.
Als die Wächter verschwunden waren, spähte er aufmerksam zur Burg hinüber. Sämtliche Höfe und Gebäude wirkten menschenleer und dunkel. War das etwa eine Falle, in der man Piemur fangen wollte? Oder bot sich jetzt für ihn, Sebell, eine Gelegenheit, unbemerkt in die Burg zu gelangen und Nachforschungen anzustellen? Kimi raschelte erschrocken mit den Schwingen. Ihre halb geöffneten Augen glommen gelb - ein
Zeichen der Unruhe. Auch der kleine Körper von Tris zuckte erregt.
Gleich darauf übermittelte Kimi ihm Bilder von Drachen - von Drachen, die keine der beiden Echsen kannte! Im nächsten Moment hörte Sebell selbst das Rauschen von Drachenschwingen. Er sah vier dunkle Schatten über die Burgklippe gleiten. Zwei der Tiere landeten im Wirtschaftshof, die beiden anderen im Haupthof. Sebell hörte leise Befehle; ein aufgeregtes, wenngleich gedämpftes Laufen und Hasten setzten ein. Geschimpfe und unterdrückte Flüche begleiteten das ungewohnte nächtliche Treiben. Sebell überlegte gerade, ob er sich etwas näher an den Ort des Geschehens wagen konnte, als Krallen über Stein scharrten und mächtige Schwingen die Luft durchschnitten. In dem schmalen Lichtspalt, der aus dem Küchengewölbe drang, sah er, wie ein schwer beladener Bronzedrache keuchend vom Boden abhob. Kaum war er im Dazwischen verschwunden, da stieg auch schon der Zweite auf. Nun flogen die beiden Drachen vom Haupthof zu den Wirtschaftsgebäuden. Wieder begann das hektische Hin und Her mit Geflüster und gereizten Befehlen.
Kimi und Tris klammerten sich die ganze Zeit über eng an Sebell. Sie verrieten eine Angst, die sie noch nie zuvor in Gegenwart von Drachen gezeigt hatten. Dem Harfner fiel es nicht schwer, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Was er soeben beobachtet hatte, war die Übergabe von Waren an Drachenreiter des Südkontinents. Das gestohlene Königinnenei war wohl eine Anzahlung für die Lieferung gewesen.
Vom Festplatz her kamen Stimmen näher, und Sebell wich hastig zurück in den Schatten, nachdem er den beiden Echsen befohlen hatte, die Augen zu schließen. Er selbst kauerte sich an
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