Drachenmeister
Berdine wollte widersprechen, wurde jedoch durch einen wütenden Blick Baron Oterels zum Schweigen gebracht.
Der Heiler wandte sich Hilfe suchend an Meister Oldive, doch der löste den Blick keine Sekunde vom Meisterharfner. Obwohl Sebell gewusst hatte, wie viel Robinton an einer friedlichen Klärung des Nabol-Erbstreites lag, hätte er nie geglaubt, dass der Meister so eisern durchgreifen würde. Aber er verstand die Gründe für diese Härte. Wenn erst einmal um Merons Besitz gekämpft wurde, könnte das zu einem Krieg auf ganz Pern führen. Denn viele der Jungbarone und Hofbesitzersöhne, die niemals auf legale Weise zu eigenem Grund und Boden gelangen konnten, warteten nur auf eine solche Gelegenheit. »Was soll das heißen?« Merons Stimme nahm einen schrillen Klang an. »Meister Oldive, helfen Sie mir! Auf der Stelle!«
Meister Oldive sah die Besucher der Reihe nach an und verneigte sich. »Wie ich höre, warten am Burgtor viele Kranke auf meinen Beistand! Ich werde hingehen. Selbstverständlich komme ich hierher zurück, sobald ich gebraucht werde. Berdine, begleiten Sie mich!«
Als Baron Meron die beiden Heiler mit einem zornigen Aufschrei zum Bleiben zwingen wollte, nahm Meister Oldive Berdine am Arm und führte ihn aus dem Zimmer. Die Tür fiel ins Schloss, und Meron starrte in die undurchdringlichen Gesichter, die ihn beobachteten.
»Begreift ihr denn nicht? Ich leide Qualen! Todesqualen! Etwas frisst sich durch meine Eingeweide. Es wird nicht eher ruhen, bis eine leere Hülle zurückbleibt! Ich brauche meine Medizin! Ich muss sie haben!«
»Und wir brauchen den Namen Ihres Nachfolgers«, entgegnete Baron Oterel ohne jedes Mitgefühl.
Meister Robinton begann, mit ausdrucksloser Stimme die männlichen Verwandten des Burgherrn aufzuzählen.
»Sie haben einen vergessen, Meister«, warf Sebell ehrerbietig ein, als Robinton schwieg. »Deckter...«
»Deckter?« Der Harfner zog die Brauen hoch und sah Sebell missbilligend an.
»Jawohl, Meister. Ein Großneffe.«
»Ach so.« Das klang verwundert, aber der Harfnermeister fügte Deckter mit einem schwachen Achselzucken an, als er die Namensliste ein zweites Mal vorlas. Robinton sah Baron Meron fragend an, doch der schleuderte ihm einen Schwall von Flüchen entgegen und schrie dazwischen immer wieder nach Meister Oldive. Schließlich sank er mit einem erschöpften Röcheln in seine Kissen zurück. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
»Benennen Sie Ihren Erben!«, sagte T’bor, der Weyrführer vom Hochland. Merons Blicke ruhten auf dem Mann, dem er so tiefes Leid zugefügt hatte. Denn Merons Verhältnis mit Kylara, der Weyrgefährtin von T’bor, hatte letzten Endes zum Tod von Kylaras Drachenkönigin Pridenth und Brekkes Wirenth geführt.
Merons Augen weiteten sich vor Entsetzen, als ihm klar wurde, dass er keine Erlösung von seinen Schmerzen fand, solange er keinen Nachfolger benannte. Die Männer, die ihm gegenüberstanden, hatten allen Grund, ihn zu hassen.
Sebell stellte fest, dass auch T’bor Deckter zu erwähnen vergaß, als er die Namen noch einmal vorlas. Das gleiche Versehen unterlief Baron Oterel. Baron Bargen warf Oterel einen zurechtweisenden Blick zu und nannte Deckters Namen zuerst.
Sebell wusste, dass er sich zeit seines Lebens mit Entsetzen an diese bizarre, ja makabre Szene erinnern würde. Aber auch Bewunderung schwang mit. Er wusste seit Langem, dass Meister Robinton die ungewöhnlichsten Maßnahmen ergriff, um Ordnung und Frieden auf Pern zu gewährleisten, aber er hatte nicht
geahnt, dass der sonst so mitfühlende Harfner zu derart rauen Methoden fähig war. Ganz bewusst lenkte Sebell seine Gedanken ab von dem Gestank und der Enge des Raumes, verdrängte Merons Leiden und konzentrierte sich auf die Taktik der anderen, die Baron Meron geschickt dahin steuerten, jenen Mann als Nachfolger zu benennen, den sie scheinbar gering achteten und immer wieder vergaßen. Das Flackern der Leuchtkörbe erinnerte Sebell und Menolly noch lange Zeit danach an die gespenstischen Stunden, in denen sich Baron Meron mit letzter Kraft gegen seine unerbittlichen Besucher aufgebäumt hatte.
Es war klar, dass der Sterbende nicht durchhalten konnte. Sebell sah den Schmerz geradezu durch Merons Körper pulsen, als der Mann Deckters Namen hervorkeuchte - hasserfüllt, triumphierend, weil er glaubte, den Mann erwählt zu haben, der seinen Widersachern am wenigsten gefiel.
Im gleichen Moment, da Deckters Name über die Lippen des Burgherrn kam, eilte
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