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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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hab Geld.«
    »Du hast Geld? Woher denn?«
    »Es ist nicht viel, aber ein paar Tage reicht es. Dann werden wir weitersehen. Die Frage ist jetzt, ob du mitkommst.« Ich zeigte auf ihren Rucksack, der im Gras lag. »Du hast auch gepackt. Du willst doch mitkommen, oder?« Ich sah ihr gerade in die Augen.
    Sie warf ihrem Rucksack einen Blick zu, als könnte er ihr die Entscheidung abnehmen. Plötzlich bückte sie sich und hob ihn auf.
    »Wir hauen ab«, sagte sie.
    Ich nickte.
    Rasch überquerten wir die Wiese. Die Sonne schien jetzt noch stärker zu strahlen und alles in ein ganz neues Licht zu tauchen. Alles war wie neu, wie neu entdeckt, wie noch nie zuvor gesehen. Und wir schienen auch neu zu sein, Kerstin und ich. Als wären wir innerhalb von zwei Sekunden andere geworden. Plötzlich waren wir etwas Besonderes, Kerstin und ich. Als würden wir zusammen etwas Besonderes werden. Als wären wir schon dorthin unterwegs, irgendwohin, weit weg, aber eigentlich hatte das nichts mit Reisen zu tun. Oder vielleicht hing es doch mit der Reise zusammen, die wir unternehmen wollten. Na ja, Reise, manche würden es Abhauen nennen, Mutter zum Beispiel. Sie wusste ja, was das war, abhauen. Sie musste fliehen. Ich brauchte nur abzuhauen.
     
    7
     
    Wir gingen an der Konditorei vorbei und bogen nach rechts ab. Von der anderen Seite des Flusses ertönten Sirenen. Kerstin zuckte zusammen, als ob das Geheul sie etwas anginge. Eine Nachricht. Oder nur ein letzter Gruß, bevor sie die Stadt verließ.
    »Was hast du gesagt, als du gegangen bist?«, fragte ich, während ich versuchte, meinen Rucksack richtig zu schultern. Der hatte kein Tragegestell oder so was, er war mehr wie ein Beutel, der schief an meinem Rücken hing.
    »Gar nichts«, antwortete Kerstin, ohne mich anzuschauen. »Meine Mutter war nicht zu Hause.« Sie sah mich an. »Ich hab einen Zettel geschrieben und auf den Küchentisch gelegt.«
    »Gut.«
    »Ich weiß nicht, ob das gut ist. Aber das war das Einzige, was ich machen konnte.«
    »Was hast du geschrieben?«
    »Nichts Besonderes.«
    »Gut.«
    »Warum findest du das gut?«
    »Wir brauchen unsere Pläne ja nicht direkt zu verraten.«
    »Pläne?«
    Kerstin war vorm Kino stehen geblieben. Hierher war ich früher oft geflohen. Ein richtig guter Film schien für eine Weile mehr zu bedeuten als das eigene Leben. Aber das Gefühl war vielleicht doch nicht so gut. Wenn man aus dem Kino kam, war es noch dunkler um einen hemm, noch ein bisschen kälter, und das eigene armselige Leben war noch weniger wert. Darum hatte ich aufgehört, ins Kino zu gehen. Es gab keine guten Filme mehr. Ich hatte »Yojimbo« und »Die sieben Samurai« gesehen, und bessere Filme gab es sowieso nicht.
    »Pläne?«, wiederholte Kerstin. »Was für Pläne, Kenny?«
    »Der erste Plan ist, dass wir die Stadt ungesehen verlassen«, antwortete ich. »Wir müssen hier weg, ohne dass uns jemand schnappt und abführt.«
    »Wir brauchen wohl noch ein paar mehr Pläne«, sagte Kerstin. »Sonst schnappen sie uns sofort.«
    »Hast du Vorschläge?«
    »Ich hatte nicht mal genügend Zeit, um richtig zu packen«, antwortete sie. »Aber du hast doch den Rucksack dabei.«
    »Ich weiß kaum, was ich reingestopft habe.«
    »Wir brauchen nicht viel«, sagte ich. »Woher weißt du das?«
    Ja, woher wusste ich das? Ich wusste ja nicht einmal, wohin wir unterwegs waren oder wie wir das unbekannte Ziel erreichen sollten. Aber ich wusste, dass es besser war, abzuhauen, als das, was passieren würde, wenn wir blieben. Und ich wusste, dass wir uns nie Wiedersehen würden, wenn wir blieben. Ich würde in Schonen landen und Kerstin in Norrland, oder umgekehrt. Das Jugendamt würde sich einen Dreck dämm scheren, wenn wir sagten, dass wir zusammenbleiben wollten. Wir waren ja keine Geschwister, und manchmal trennten sie sogar Geschwister.
    Wir gingen über den Marktplatz, an der Würstchenbude vorbei. Sie war geschlossen. Plötzlich war ich richtig hungrig, ich hatte kein Mittag gegessen und Kerstin vermutlich auch nicht. Ich hatte Geld in der Tasche, aber das sollte so lange wie möglich reichen. Ich sah, dass Kerstin zu der Würstchenbude schaute, als wir vorbeigingen.
    »Hast du Hunger?«
    »Nein, nicht sehr«, antwortete sie, aber ich wusste, dass sie log. So etwas konnte man nicht verbergen. Man konnte viel verbergen, aber nicht den Gedanken an frisch gebratene Fleischbällchen oder Pfannkuchen mit Erdbeermarmelade und Sahne. Wer es schaffte, das zu verstecken, gehörte ins

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