Drachenmonat
hat sich verändert.«
»Außer dass das ganze Land weiß, dass wir gesucht werden«, sagte Kerstin.
»Was spielt das für eine Rolle?«, sagte ich. »Uns kennt doch niemand, oder? Das ganze Land weiß doch nicht, wer wir sind.«
»Jetzt wissen sie es«, sagte sie. »Jetzt werden sie uns erkennen.«
»Das glaub ich nicht«, sagte ich. »Die Leute haben andere Sorgen. Die Suchmeldung haben sie im selben Moment vergessen, als sie beendet war. Im Radio werden doch dauernd Suchmeldungen durchgegeben.«
»Nicht alle vergessen sie«, sagte Kerstin.
Ich wusste, woran sie dachte. An ihre Mutter. In dem Moment dachte ich auch an meine Mutter. Unsere Mütter dachten vielleicht an uns. Sie wussten beide, was eine Suchmeldung war. Kerstins Vater hatte man auch gesucht, im vergangenen Sommer, als wir im Lager waren. Jetzt wurde ich gesucht. Die gesuchte Familie. Der reinste Weltrekord.
Hinter der Stadt ging die Sonne unter. Die Schatten im Garten waren lang. Es roch nach Äpfeln und Gras. Ich stand auf der Treppe. Auf unserem Hof in der Stadt wuchs kein Gras und auch kein Apfelbaum. Das war mir früher gar nicht aufgefallen, aber als ich nun in Eriks Garten stand, wünschte ich plötzlich, ich würde in einem Haus mit Garten wohnen. Oder in einem Schloss mit einem Garten dämm hemm. »Hier ist es schön.«
Ich hatte sie nicht herauskommen hören. »Und es riecht so gut«, fuhr Kerstin fort. »Ja.«
»Der ganze Abend duftet.« Kerstin wies mit dem Kopf auf den Garten. »Nicht nur das Gras und die Bäume, der ganze Abend. Die Schatten riechen. Duften. Und die Farben oder die Dunkelheit. Bald sind alle Farben verschwunden.«
»Ja.«
»Es ist komisch mit den Farben in der Natur«, sagte Kerstin. »Abends verschwinden sie, als würden sie schlafen gehen, in der Erde versinken. Sie sind noch da, aber wir können sie nicht sehen. Und morgens kommen sie wieder hervorgekrochen.«
Jetzt waren sie richtig versunken. Ich konnte keine Farben mehr erkennen, wenn Schwarz und Grau nicht auch Farben sind. Dort, wo die Farben versunken waren, stieg Nebel auf. Langsam hüllte er die Bäume wie in eine Gazebinde, als wären die Bäume verletzt. Als wären sie im Kampf gewesen.
Ich merkte, dass Kerstin fröstelte. Die kalte Gazebinde begann sich um unsere Beine zu schlingen.
»Ist dir kalt?«
Ich konnte nicht sehen, ob sie nickte oder den Kopf schüttelte.
Sie fror wohl nicht. Dennoch geschah etwas mit meinem Arm. Er bewegte sich aufwärts, ich stand da und schaute zu, wie er sich um Kerstins Schultern schlang, so wie die Gazebinde, die uns jetzt umhüllte.
Die Armkrankheit.
Kerstin sprang nicht davon wie eine Farbe, die in das Nachdoch hüpft. Sie blieb still stehen, meinen Arm um ihre Schultern. Meine Hand lag auf ihrem Arm, der sich gleichzeitig warm und kalt anfühlte. Sie schob die Hand nicht weg. Ich hielt die Finger ganz still. Wir standen da und schauten in den schwarzen Garten. Die Bäume waren Silhouetten vor den Straßenlaternen, die jetzt angingen.
Eine ganze Weile standen wir so. Kerstin war ein bisschen größer als ich, und ich musste den Arm hochhalten, langsam fing er an wehzutun, und ich ließ Kerstin los, obwohl ich es nicht wollte.
»Wir müssen Erik und Janne helfen, Abendbrot zu machen«, sagte ich.
»Schade, dass ihr nicht ein bisschen länger bei uns bleiben könnt«, sagte Erik. »Aber das würden meine Eltern wohl nicht erlauben.«
»Die wären ja auch dran, wenn die Polizei es erführe«, sagte ich. »Es ist bestimmt strafbar, jemanden zu verstecken, der gesucht wird.«
»Wir könnten euch höchstens ein paar Tage verstecken«, sagte Erik. »Meine Eltern kommen nie in den Teil des Hauses, wo unsere Zimmer sind.«
»Nein, nein«, sagte ich. »Es ist besser, weiterzureisen.«
»Reisen wohin?«
Ich antwortete nicht gleich. Auch Kerstin schwieg. Sie kaute auf einem Happen Omelett mit Pilzen, das Erik gebraten hatte. Beim Braten hatte er erzählt, dass seine Mutter Pfifferlinge erschnüffelte wie ein Trüffelschwein. Was ist das, ein Trüffelschwein?, hatte Janne gefragt. Das sind Schweine, die Trüffel riechen können. Trüffel sind Pilze, die es in Frankreich gibt, hatte Kerstin erklärt. Woher weißt du das?, hatte Janne gefragt. Das hab ich in einem von Kristers Nachschlagebücher gelesen, hatte sie geantwortet.
Auf die Frage, wohin wir reisen wollten, antwortete sie nicht.
»Wir haben verschiedene Pläne«, sagte ich.
»Wie lange wollt ihr euch versteckt halten?«, fragte Erik.
»Ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher