Drachenmonat
sagte Erik. »Weiter als bis zur Stadtgrenze.«
»Möchtest du das wirklich?«, fragte Kerstin. »Eigendich nicht«, antwortete er.
Kerstin guckte aus dem Fenster. Der Regen hatte nachgelassen und berührte kaum noch die Scheiben. Das Gewitter war weitergezogen.
Plötzlich fiel ein Sonnenstrahl in den Garten. Es war fast das gleiche Licht wie das des Blitzes.
Wir würden keine Stiefel brauchen.
Wir gingen nicht zur Stadtgrenze. Weder Kerstin noch ich wollten heute per Anhalter fahren. Außerdem hatten wir Geld.
Der Busbahnhof lag mitten in der Stadt. Janne und Erik brachten uns hin. Als wir durch die Gartenpforte gegangen waren, hatten Kerstin und ich uns umgeschaut, als würden Polizei oder Leute vom Jugendamt im Gebüsch oder hinter Autos warten. Nach einer Weile wurden wir etwas sorgloser. Wir waren vier Kinder und nicht zwei.
»Wie gefällt dir die Stadt eigendich?«, fragte ich Janne, als wir an der Kirche vorbeikamen.
»Es gibt schlimmere«, antwortete er.
Erik lachte. »Als wir dich und Kenny das erste Mal getroffen haben, da saht ihr aus, als wärt ihr wirklich in Feindesland geraten.«
»Das haben wir ja auch geglaubt«, sagte ich.
»Die Stadt, die dem Camp am nächsten war«, sagte Janne. »Da musste man ja misstrauisch sein.«
»Aber jetzt bist du nicht mehr misstrauisch«, sagte Kerstin.
»Nee. Das hängt ja damit zusammen, wie man wohnt. Mit wem. Dann spielt es keine Rolle mehr, wie die Stadt ist.«
Die Busse standen in mehreren Reihen um den Busbahnhof herum.
»Ich guck mal auf den Fahrplan«, sagte ich.
Die Pläne hingen hinter einer großen Glasscheibe. Ich fand den Namen der Stadt, in der Klops wohnte. Und Ann. Um elf Uhr fuhr ein Bus. Ich warf einen Blick auf die Uhr über dem Eingang zum Wartesaal. In einer halben Stunde war es elf. Die Reise würde eine Stunde und zehn Minuten dauern.
Janne boxte mich gegen den Arm, ganz leicht, ein Gefühl, als sei dort eine Feder gelandet und gleich weitergeflogen.
»Hoffendich kommt bald alles in Ordnung«, sagte er.
Kerstin tippte er noch vorsichtiger an.
»Jetzt kriegt ihr noch eine neue Stadt zu sehen.«
»Wirklich wahnsinnig aufregend«, sagte Kerstin.
»Jeder Tag ein Abenteuer«, sagte Erik.
»So ein Glück hat nicht jeder«, sagte ich.
»Vielleicht kriegt ihr einen Job bei den Schausteilem«, sagte Erik und zeigte auf ein Plakat, das am Bahnhofsgebäude hing. Darauf wurde für einen Jahrmarkt geworben, der in der Stadt, zu der wir unterwegs waren, seine Zelte aufschlagen würde. Bei uns war er auch gewesen. Komisch, dass sie im Herbst noch auf Tournee waren. Vielleicht war das durch den Indiansummer möglich.
Wir standen vor dem Bus, der in fünf Minuten abfahren würde.
»Hier ist unsere Telefonnummer.« Erik reichte Kerstin einen Zettel. »Falls was ist, könnt ihr uns jederzeit anrufen.« Kerstin nickte.
»Falls ihr von irgendwo schnell wegmüsst, kann ich meinen Vater bitten, euch mit dem Auto zu holen.«
»Wenn er zu Hause ist«, sagte Janne.
»Ja, wenn er zu Hause ist. Sonst müssen wohl wir fahren.«
Hinter uns startete der Bus, und es grollte wie ein Gewitter. Die anderen Passagiere waren schon eingestiegen. Kerstin ging vor, ich folgte ihr.
Janne und Erik winkten uns nach, als der Bus den Platz verließ. Sie sahen aus wie Brüder.
Die Stadtgrenze war noch da. Ich drehte mich um, als wir sie passierten, und las wieder das Willkommens-Schild. Wenn wir zurückkamen, wurden wir vielleicht nicht mehr so freundlich willkommen geheißen. Aber vielleicht würden wir gar nicht wiederkommen.
Wir passierten die Kreuzung, wo es zum Camp ging. Dem ehemaligen Camp. Ich war froh, dass wir vorgestern dort gewesen waren. Jetzt hatte ich die Ruinen gesehen und brauchte das nie mehr. Ich brauchte nicht mehr daran zu denken. Der Samurai sagt, vielleicht musst du der Vergangenheit einen Besuch abstatten, und wenn du das getan hast, kannst du wieder vorwärtsgehen. Dann brauchst du dich nie mehr umzusehen. Es ist nicht gut, sich allzu häufig umzudrehen. Man könnte plötzlich in eine Grube fallen, die sich vor einem auftut oder über einen Baumstamm stolpern.
»Wir können aber nicht erwarten, dass immer alle Eltern verreist sind«, sagte Kerstin plötzlich. »Nein.«
»Die Eltern von Klops und Ann werden sich bestimmt fragen, warum wir kommen. Vermutlich haben sie die Suchmeldung auch gehört.«
»Das wissen wir nicht. Und Klops hat nur eine Mutter.«
»Du weißt, was ich meine, Kenny.«
Wir kamen an Feldern und
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