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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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»Zweiunddreißig.«
    »Oh …«
    »Ihr könnt ruhig beim Du bleiben.«
    »Und wohin willst du jetzt?«
    »In die nächste Stadt.« Er zeigte nach Westen. Dort ging gerade die Sonne unter. »Wisst ihr, wo ihr seid?«
    Wir antworteten nicht. Lasse ließ den Blick über Hügel und Wald schweifen. Er hatte es durchschaut. Er hatte nicht gefragt, wie wir hießen oder wer wir waren oder warum wir unterwegs waren. Es war schön, dass uns die Fragen erspart blieben und wir nicht alles erklären oder vielleicht lügen mussten.
    »Ihr fangt mit dieser Art Leben früher an als ich«, sagte er. »Wie heißt die nächste Stadt?«, fragte ich.
    Er nannte den Namen.
    »Da wohnt ja meine Großmutter!«, sagte ich.
    Wir waren auf dem Weg zu Kerstins Großmutter gewesen, und plötzlich waren wir auf dem Weg zu meiner. Wir hatten die Vogelfluglinie über die Hügelkette benutzt, und die Vogelfluglinie ist immer kürzer, als wenn wir die Hügel auf den Straßen umfahren hätten. Wenn die Luftlinie zwanzig Kilometer betrug, dann könnte das hundert Straßenkilometern entsprechen, vielleicht sogar mehr.
    »Dahinten kommt ein Auto«, sagte Kerstin. Es kam uns auf unserer Seite mit eingeschaltetem Licht entgegen. Die Scheinwerfer sahen aus wie runde Augen, die geradeaus starrten. Lasse streckte den Daumen raus.
    Das Auto hielt.
     
    Die Frau war nicht viel älter als Lasse. Vielleicht war sie gar nicht älter. Sie hieß Siv Beckman. Dies sei ihr erstes Auto, sagte sie. Wir waren ihre ersten Anhalter. »Ich dachte, ihr hättet einen Motorschaden oder so«, sagte sie, nachdem wir ein Stück gefahren waren und alle sich vorgestellt hatten. Sie hatte damit angefangen.
    »Es gibt nicht viele, die als Gruppe trampen«, fuhr sie fort.
    »Die Kinder wollen nur in die Stadt«, sagte Lasse.
    »Ich fahre sowieso nicht weiter.«
    »Ich auch nicht«, sagte Lasse.
    »Wohnen Sie in der Stadt?«
    »Nein.«
    »Aber trotzdem wollen Sie hin?«
    »Ja.«
    »Sie sind aber ziemlich mundfaul.«
    Lasse antwortete nicht.
    Siv Beckman lachte auf. »Ist einer von euch beiden etwas gesprächiger?« Sie sah Kerstin und mich im Rückspiegel an. Wir saßen auf dem Rücksitz.
    Wir antworteten nicht.
    »Dann hören wir eben Musik«, sagte sie und schaltete das Radio ein.
    Musik ertönte, die ich nicht kannte, aber es war Pop. Dann kam eine Männerstimme, und die meinte ich zu kennen. Es war unsere Suchmeldung!
    Siv Beckman warf uns immer wieder Blicke zu, während sie zuhörte.
    Danach wurde wieder Musik gespielt.
    »Aha«, sagte die Frau, »was bedeutet das denn?«
    Wir entkommen nicht mehr, dachte ich. Es wird immer schlimmer und schlimmer. Wir sind die meistgesuchten Kinder des Landes. Vielleicht der ganzen Welt.
    Ich sah Siv Beckmans Augen im Rückspiegel. Sie fuhr weiter, hatte jedenfalls nicht angehalten, nachdem sie die Suchmeldung gehört hatte.
    »Das seid ihr, nicht?«
    Wir antworteten nicht.
    Sie warf Lasse einen Blick zu und fragte streng: »Warum fahren Sie mit diesen Kindern herum?« Er zuckte zusammen.
    »Ich hab sie dort getroffen, wo Sie uns aufgelesen haben.«
    »Ist das wahr?«
    »Warum sollte das nicht wahr sein?«
    Sie sah Kerstin und mich im Rückspiegel an.
    »Es ist keine Belohnung ausgesetzt«, sagte ich.
    »Was hast du gesagt?«
    »Für uns gibt es keine Belohnung.«
    Siv Beckman kicherte. Es klang merkwürdig, erst recht, als ich ihre Augen sah. Sie wirkten verärgert oder vielleicht ängstlich. Die ersten Anhalter, die sie in ihrem neuen Auto mitgenommen hatte, waren Kinder, die von der Polizei gesucht wurden. Wir waren todsicher die ersten und letzten Anhalter, die sie mitnahm.
    »Wie lange suchen sie euch schon?«, fragte sie.
    »Noch nicht lange«, sagte ich. »Nur ein paar Tage.«
    »Nur ein paar Tage? Herr im Himmel!«
    »Wie seid ihr hierhergekommen?« Sie machte eine Handbewegung. »Auf dem Weg in die Stadt, zu der wir jetzt also unterwegs sind.«
    »Wir wollen Großmutter besuchen«, sagte ich.
    »Und das soll ich dir glauben?«
    »Er sagt die Wahrheit«, sagte Lasse.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Kenny hat es mir vorhin erzählt, und zwar auf die Art, wie man es nicht erzählen würde, wenn man lügt.«
    »Und das können Sie beurteilen?«
    »Ich glaube ja.«
    »Herr im Himmel«, sagte sie noch einmal.
    Sie fuhr weiter. Wieder schaute sie mich mit ihren ärgerlichen und ängstlichen Augen an und warf Lasse einen raschen Blick zu. Er wirkte ganz ruhig.
    »Die Kinder müssen unbedingt nach Hause«, sagte sie. »Es ist meine … unsere

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