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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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wenn wir mit Essen fertig waren. Sie hatte vergessen, den Rucksack in der Diele abzunehmen. Ich überlegte, ob ich nicht noch einmal zu Großmutters Haus gehen und Leute in anderen Häusern nach ihr fragen sollte, ob jemand sie kürzlich gesehen hatte. Vielleicht war sie nicht verschwunden. Sie könnte ja auch hilflos in ihrer Wohnung liegen.
    »Vielleicht ist Großmutter krank und kann sich nicht bewegen«, sagte ich und legte Messer und Gabel weg.
    »Das hab ich auch schon gedacht«, sagte Lasse. Er sah Siv Beckman an.
    »Dann müssten wir wohl die Polizei rufen«, sagte sie, »und einen Krankenwagen.«
    »Können wir nicht noch mal hinfahren?«, fragte ich. »Das geht schneller.«
    »Hast du denn einen Schlüssel?«, fragte sie.
    »Nein…«
    »Siehst du.«
    »An und für sich ist das kein Problem«, sagte Lasse und beugte sich ein wenig über den Tisch.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Siv Beckman.
    »Es ist kein Problem, Türen ohne Schlüssel zu öffnen.«
    »Was sind Sie eigendich? Ein Einbrecher?« Sie sah Lasse an und dann Kerstin und mich. »Wo bin ich da bloß reingeraten? Ein Einbrecher und zwei Ausreißer!?«
    »Ich bin kein Einbrecher«, sagte Lasse.
    »Haben Sie nicht eben vorgeschlagen, in eine Wohnung einzubrechen!?«
    Lasse antwortete nicht.
    »Wenn wir im Krankenhaus anrufen, schicken sie vielleicht keinen Krankenwagen«, sagte ich, »die glauben uns nicht.«
    Siv Beckman sah mich an.
    »Wenn wir die Polizei anrufen, schicken die auf der Stelle ein Auto.«
    »Aber nicht dorthin«, sagte ich, »die kommen erst mal hierher.«
    »Warum?«
    »Denen wird die Fahndung bekannt sein, und sie wissen bestimmt, dass es meine Großmutter ist. Und deswegen fahren sie nicht zu ihr.«
    »Der Junge hat Recht«, sagte Lasse.
    »Herr im Himmel«, sagte Siv Beckman. »Was für ein Durcheinander.«
     
    Großmutters Fenster waren immer noch dunkel. Wir standen auf dem Schotterweg vor dem Haus. Auf der Straße fuhr ein Auto vorbei. Über der Haustür brannte ein schwaches Licht. Siv Beckman hatte uns hergefahren und sagte, sie werde uns in einer halben Stunde abholen.
    Jetzt war die Haustür verschlossen.
    »Das erste kleine Hindernis«, sagte Lasse. Er zog ein dünnes Stahlblatt aus einer Jackentasche.
    »Bist du doch ein Einbrecher?«, fragte Kerstin.
    »Keinesfalls«, sagte Lasse.
    Er schob das Blatt in Höhe des Türschlosses zwischen Tür und Leiste, drückte etwas und zog an der Tür. Sie öffnete sich mit einem klickenden Geräusch.
    »Wo hast du das gelernt, wenn du kein Einbrecher bist?«, fragte ich.
    »Bei der Polizei.« Er schob die Tür auf.
    »Bist du Polizist?«
    »Nicht mehr.«
    »Bist du wirklich mal Polizist gewesen?«
    »In einer anderen Reinkarnation.«
    Jetzt standen wir im Treppenhaus.
    »Das bedeutet in einem früheren Leben«, sagte Lasse.
    »Das wissen wir«, sagte ich.
    »Warum bist du denn nicht mehr Polizist?«, fragte Kerstin.
    »Ich mag keine Uniformen«, antwortete er. »Und ich wollte mehr von der Welt sehen.«
    Wir stiegen die Treppen zu Großmutters Wohnung hinauf.
    Ich klingelte an der Tür. Die Türglocke klang lauter als vorhin. Wenn es dunkel wurde, klang alles lauter. Dann drangen nicht so viele Geräusche wie tagsüber herein.
    Lasse blinzelte mit seinen geschlitzten Augen das Türschloss an und holte ein anderes Stahlblatt hervor, das er zwischen Tür und Wandleiste drückte. Die Tür klickte. Lasse sah uns an.
    »Wartet hier, während ich reingehe.«
    »Nein«, sagte ich. »Es ist besser, ich gehe. Vielleicht kriegt sie einen Herzanfall, wenn du auftauchst.«
    »Den kriegt sie vielleicht auch, wenn sie dich sieht«, sagte Lasse.
    Aber ich drängte mich an ihm vorbei und betrat die Wohnung.
    Im Flur roch es ungelüftet, als wären die Fenster schon seit langem nicht mehr geöffnet worden. So war es sicher. Es war nicht dunkel, wie ich erwartet hatte. Durch die Lamellen der Jalousien drang Licht von den Straßenlaternen herein. Ich kannte mich aus. Ganz hinten in der Wohnung war das Wohnzimmer, rechts die Küche und ein Stück weiter das Bad, und danach Großmutters Schlafzimmer.
    »Großmutter?«
    Meine Stimme klang unnötig laut, als wäre es unnötig, so laut zu schreien, um Großmutter zu wecken. »Großmutter?«
    Ich rief etwas leiser, bekam jedoch keine Antwort und machte ein paar Schritte vorwärts. Ich wollte kein Licht anknipsen, ich wusste auch nicht, warum. Vielleicht, weil wir ohne Schlüssel eingedrungen waren.
    Großmutter saß nicht bei einer Tasse Kaffee in der

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