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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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das Geld zu nehmen.
    »Bist du auch im Bus gewesen?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Gehörst du zu denen?« Er deutete mit dem Kopf zur Toilette. Ich drehte mich um. Dort stand die Lehrerin mit ihrer halben Klasse. Der Mann hätte eigendich erkennen müssen, dass ich mindestens zwei Jahre älter war als die anderen Kinder. Vielleicht hatte er einen Augenfehler. Er trug keine Brille, aber wahrscheinlich hätte er eine gebraucht.
    Ich traute mich nicht zu lügen. Womöglich würde er sofort die Lehrerin fragen.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Was machst du dann hier?«
    »Wieso … ich bin auf dem Weg zu meiner Großmutter.«
    »Wo wohnt sie?«
    Ich nannte den Namen der Stadt.
    »Wo liegt die?«
    »Äh … wir müssen umsteigen.«
    »Umsteigen? Wo denn?«
    »Daran … kann ich mich im Moment nicht erinnern.«
    »Du weißt also nicht, wo deine Großmutter wohnt?« Er beugte sich über den Tresen. »Du weißt nicht, wohin du unterwegs bist, oder?«
    »Kann ich bezahlen?«, sagte ich. »Der Bus fährt gleich ab.«
    »Warte mal eben.« Er beugte sich noch näher und sah mich an. »Heißt du Tommy?« Er zog sich zurück und verschwand hinter dem Tresen. Als er wieder auftauchte, hatte er ein Blatt Papier in der Hand. »Wir haben einen Anruf von der Polizei aus der Stadt gekriegt, aus der der Bus kommt. Sie fahnden nach einem Jungen, der Tommy heißt.« Er beugte sich wieder vor. »Bist du das?«
    »Ich heiße Kenny.«
    »Ich glaube, du lügst, Junge.«
    »Es ist aber wahr. Ich heiße Kenny und nichts anderes.«
    »Wo ist das Mädchen?«
    »Was?«
    »Ein Mädchen ist auch verschwunden. Ihr seid zu zweit.« Er las es vom Blatt ab. »Tommy und Kerstin.« Er sah mich an. »Wo ist Kerstin?«
    Die Bananen und die Tafel Schokolade lagen auf dem Tresen. Ich wusste, dass ich beides nie essen würde, und verließ den Raum.
    »Warte, hör mal, Junge!«, rief der Mann mir nach.
    Kerstin stand vor dem Bus. Ich sah den Fahrer schon hinterm Steuer sitzen. Plötzlich startete der Motor. Der Bus würde gleich fahren, aber wir würden nicht dabei sein.
    »Hol deinen Rucksack«, sagte ich.
    »Was ist, Kenny?«
    »Man hat uns erkannt! Hol den Rucksack!« Kerstin stieg in den Bus. Durchs Fenster sah ich, wie sie ihren Rucksack vom Sitz hob. »Junge!«
    Ich drehte mich um. Der Mann stand jetzt vor dem Häuschen. Neben ihm standen die Lehrerin und einige aus der halben Klasse.
    Mit dem Rucksack in der Hand sprang Kerstin von den Busstufen. »He!«, rief der Busfahrer.
    »Wartet, Kinder!«, rief der Mann von der Tür. Drinnen hatte er eine rot-gelbe Kappe getragen, die er jetzt schwenkte, als wollte er uns damit einfangen.
    »Ihr bleibt da!«, rief er und lief wieder hinein.
    »Er ruft die Polizei«, sagte ich.
    »Oder das Jugendamt«, sagte Kerstin.
    »Nein, er ruft die Polizei an, und die informiert das Jugendamt. Aber vorher schnappen sie uns.«
    Der Fahrer hatte den Motor abgestellt. Die Lehrerin kam auf uns zu. Die Kinder waren stehen geblieben und zeigten auf uns.
    »Was willst du machen, Kenny?«
    »Was willst du machen?«
    »Was wir die ganze Zeit gemacht haben«, sagte Kerstin. »Wir hauen ab!«
    Und plötzlich lief sie los, schnell wie ein Reh, auf einen Hügel hinter der Tankstelle zu. Hinter dieser Anhöhe begann der Wald. Wenn Kerstin eine Verstauchung gehabt hätte, dann war die mit der Geschwindigkeit eines Weltrekords geheilt. Ich lief hinter ihr her. Der Busfahrer rief mir etwas nach, aber ich verstand es nicht. Ich wollte es gar nicht hören. Die Lehrerin rief auch etwas, aber da waren wir schon auf der Anhöhe und wenige Sekunden später zwischen den Bäumen. Wir liefen weiter, bis wir nicht mehr konnten, und ließen uns auf einer Lichtung zu Boden sinken.
    Es war fast wie nach Hause zu kommen.
     
    Die Sonne hatte sich hinter den Baumkronen versteckt. Das bedeutete, dass wir mehrere Stunden durch den Wald gegangen waren. Wir waren durch Tannenwald, ein bisschen Laubwald und über Moore gewandert, die nicht besonders feucht waren. Einmal war ich in ein Wasserloch getreten, aber inzwischen war der Fuß fast getrocknet. Wir gingen in Richtung Westen, um der Sonne zu folgen, solange wir sie sahen.
    Ich hatte Hunger, aber vor allen Dingen hatte ich Durst. Kerstin musste es genauso gehen, sie sagte jedoch nichts. Überall sahen wir Gelbtrichterlinge, aber die musste man erst abkochen. Rohe Pilze zu essen kam einem Selbstmord gleich, aber auf die Weise wollte ich mich nicht umbringen. Ich wollte mich überhaupt nicht umbringen.
    »Ich hätte

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