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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Krankenwagen.
    »Parken Sie dahinten«, sagte Lasse. Er wusste genau, was zu tun war. Er musste schon viele Male in der Notaufnahme gewesen sein.
    In dem Augenblick fuhr ein Polizeiauto vor den Glastüren vor. Lasse sah, wie erschrocken Kerstin und ich waren.
    »Die haben keine Zeit, sich um euch zu kümmern«, sagte er.
    »Ich will nicht geschnappt werden, bevor ich Großmutter gesehen habe«, sagte ich. »Hier wird niemand geschnappt«, sagte Lasse. »Kennst du die?«, fragte Kerstin. »Die Polizisten?«
    »Nein. Dies ist nicht gerade mein altes Revier.«
    »Wo ist das?«
    »In Norrland.« Er öffnete die Autotür. »Jetzt gehen wir hinein.«
    Niemand beachtete uns. Leute in weißen Kitteln eilten im Laufschritt hin und her. Polizisten kamen und gingen. Niemand sah uns überhaupt an. Zwei Polizisten hielten einen alten Mann fest, der offenbar betrunken war. Ein anderer Mann mit blutendem Kopf saß auf einem Stuhl im Korridor. Irgendwo schrie ein kleines Kind.
    Lasse ging auf eine Frau zu, die hinter einem Tresen saß. Sie sah müde aus. Lasse nannte Großmutters Namen. Die Frau blätterte in Papieren.
    »In der Observation«, sagte sie und schaute auf.
    »Wo ist die?«
    »Folgen Sie der grünen Linie, dann nach links am Ende des Korridors.«
    »Danke.«
    »Sind Sie ein Verwandter?«
    »Ja.«
    Die Frau schien noch etwas sagen zu wollen, aber da waren wir schon auf dem Weg zu der grünen Linie.
    Hinter der Biegung des Korridors öffneten sich automatisch zwei Türflügel.
    Dahinter war ein weiterer Korridor.
    Und dort lag Großmutter in einem Bett rechts an der Wand. Neben dem Bett hing eine Flasche an einem Gestell, und von der Flasche führte ein Schlauch unter Großmutters Bettdecke. Ich wusste, dass sie einen Tropf bekam. Vielleicht hatte sie schon lange nichts mehr gegessen und getrunken, und wir waren im letzten Moment gekommen.
    »Großmutter?«
    Sie bewegte den Kopf.
    »Großmutter, kannst du mich hören?«
    Jetzt schaute sie mich an. Jetzt nahmen ihre Augen etwas wahr. Sie erkannte mich und wollte etwas sagen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Aber ich las von ihren Lippen ab, dass sie versuchte, meinen Namen zu sagen. Meinen richtigen Namen.
    »Ja, ich bin’s«, sagte ich. »Kenny.«
    Sie fragte sich natürlich, was ich hier machte, aber mehr noch fragte sie sich wohl, was sie selber hier machte. Für sie war das Ganze vielleicht wie ein Traum. Irgendwann würde sie daraus erwachen. Und dann würde es ihr besser gehen. Im Moment war es das Wichtigste, dass es Großmutter besser ging.
    »Kenny …«, sagte sie jetzt mit schwacher Stimme. »Alles wird gut, Großmutter«, sagte ich. Sie schloss die Augen, als wäre sie erleichtert über das, was ich gesagt hatte. Ich hörte sie atmen. Sie war eingeschlafen. Kerstin strich ihr über den Arm.
    Als wir gingen, begegneten wir hinter den Schwingtüren zwei Polizisten. Sie beachteten uns gar nicht.
    Siv Beckman hielt mir die Autotür auf.
    Auf dem Rückweg wurde mir der Sinn dieser Reise klar. Ihr Sinn war es gewesen, dass Großmutter nicht gestorben war. Der wichtigste Sinn. Wenn ich nicht abgehauen wäre, wäre sie gestorben. Wenn Kerstin nicht geflohen wäre, wäre Großmutter gestorben. Wir hatten Glück miteinander gehabt. Wir waren etwas Besonderes. So war es wirklich.
    Siv Beckman hatte uns in einem Zimmer im Obergeschoss, in dem es ein Bett und ein Sofa gab, Bettzeug vorbereitet.
    »Ich schlaf auf dem Sofa«, sagte ich.
    Kerstin gähnte. Der Tag war sehr anstrengend gewesen. Kerstin hatte nicht viel gesagt, aber ich wohl auch nicht.
    Siv Beckman hatte uns angeboten, unsere Kleidung in die Waschmaschine zu stecken. Kerstin leerte ihren Rucksack.
    »Hast du nichts?«, fragte Siv Beckman mich.
    »Nein. Ich hab meinen Rucksack verloren.«
    »Herr im Himmel.«
    Das sagte sie so oft, als trainierte sie, Pfarrer zu werden. Aber sie sagte es nur so, eigendich war das Gotteslästerung. Doch bei ihr klang das eher wie ein Seufzer.
    »Ihr könnt gern baden«, sagte sie. »Es gibt Seife, Shampoo und saubere Handtücher. Für dich hab ich sicher eine Pyjamahose, Kenny.«
    Sie sah Kerstin an. »Möchtest du als Erste ins Bad?«
     
    Als wir das Licht ausgeschaltet hatten, meinten wir die Stimmen der beiden von unten zu hören. Sie drangen wohl durch den Luftschacht herauf, der neben meinem Sofa war. In der Wand war etwas wie ein Luftkanal. Lasse war auch geblieben, denn es war spät geworden. Ich wusste nicht, ob er auch eine Pyjamahose bekommen hatte. Die Stimmen

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