Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
mehr als eineinhalb Meter Wasser lagen.
Aus dem niedrigen hölzernen Deckhaus achtern trat ein Mann auf sie zu. Er war groß, mit schmalen Schultern, ging etwas gebeugt, und seine langen Haare wurden über der Stirn mit einer Perlenspange zusammengehalten. Sein Gesicht war braungebrannt und wettergegerbt, und über die Schultern hatte er seltsamerweise einen langen schwarzen Mantel geworfen.
»Hallo!« Er streckte ihnen seine Hand entgegen. »Wohin wollt ihr?«
»Bis zum Ende, Kapitän«, sagte Tel mit einem bezaubernden Lächeln. »Nehmen Sie uns mit?«
»Was soll die Frage? Natürlich. Habt ihr Futter dabei? Eine Matte zum Schlafen finde ich schon für euch …«
»Essen haben wir keines …«, seufzte Tel.
»Drei Münzen pro Nase am Tag«, beschied ihr der Kapitän. »Wie heißt ihr? Ich bin Eleneldil.«
»Welcher Rasse gehörst du an, verehrter Eleneldil?«, fragte Tel überrascht. »Das ist doch kein menschlicher Name?«
Viktor brachte den Namen mit einem bekannten tschucktschischen Rentierzüchter 16 in Verbindung und musste lächeln.
»Na ja … ehe ich hierherkam, war ich Nikolaj«, lachte der Kapitän.
»Warte mal«, mischte Viktor sich ein. »Was meinst du damit?«
»Ja, ja. Ich bin von der Anderen Seite. Schon mal gehört? Übrigens siehst du …« Nikolaj-Eleneldil kniff die Augen zusammen. »Du siehst selbst so aus, als ob … Stimmt’s?«
»Stimmt«, sagte Viktor, schüttelte dem Kapitän die Hand und nannte seinen Namen.
»Woher bist du?«
»Aus Moskau.«
»Aus Moskau?« Der Kapitän war aufgeregt. »Ich auch! Wo hast du gewohnt?«
»An der Elektrozawodskaja-Station.«
»Und ich an der WDNCh. Hör mal, Vitja, dein Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor. Warst du nicht öfter mal mit von der Partie?«
»Wo?«, fragte Viktor verständnislos.
»Wie wo, na im Neskutschnik 17 . Da haben wir doch jeden Donnerstag abgehangen.«
Viktor schüttelte wieder verständnislos den Kopf.
»Ach was soll’s, was vorbei ist, ist vorbei … darüber ist längst Gras gewachsen.« Der Kapitän wirkte für einen Augenblick verlegen. »Jedenfalls bist du ein Landsmann, also … seid ihr heute meine Gäste. Kommt schon!«
Es sah ganz so aus, als wäre außer Eleneldil kein Mensch auf dem Kahn. Allerdings bewegte sich das Boot auf dem Kanal so gleichmäßig und gemächlich, dass dazu auch keine Veranlassung bestand. Der Kahn glitt von selbst vom Ufer weg und zurück ins Zentrum der Strömung.
»Es ist halt langweilig hier«, bekannte Eleneldil. »Dafür ist es keine anstrengende Arbeit, man lebt im Wohlstand … erst recht, wenn man was Verbotenes transportiert …« Er zwinkerte Viktor zu und flüsterte: »Ich hab im Laderaum einen ganzen Ballen Gras! Wie steht’s, rauchst du nicht gern mal was?«
Viktor fühlte sich wie ein zufälliger Zuschauer in einem absurden Theaterstück und schüttelte nur den Kopf.
»Verdammt, was bist du für ein rechtschaffener Kerl! Und deine Freundin? Wie heißt du?«
»Tel.«
»Bist du von hier?«
»Voll und ganz.«
»Das ist gut. Lass deinen Kerl nicht hängen, hilf ihm, sich hier einzugewöhnen …«
Sie gingen hinter dem Kapitän ins Deckhaus. Man sah auf einen Blick, dass nur eine Person darin lebte, und zwar ein Faulpelz und dazu noch ein Mann.
Auf dem Tisch lagen angebissene Äpfel, schmierige, fleckige Karten, leere Teller, Instrumente, Zigarettenkippen, Wattebäusche – wozu nur? -, Holzstücke in seltsamen Formen, Reste getrockneten Fisches, klebrige Gläser mit trüben Bierresten.
Vor dem Fenster, das zum Bug ging, ragte ein kleines Handrad aus dem Boden. Jetzt begann es sich langsam und quietschend zu drehen und verursachte ein Schaukeln des Schiffbugs. Die Handgriffe des Steuerrads, die einmal lackiert gewesen waren, sahen so aus, als drückte jemand ständig seine Zigaretten auf ihnen aus.
In der Ecke türmte sich ein Berg Kleidung, dem Aussehen nach teils sauber, teils dreckig und zerknüllt. Oben auf den Hemden und Socken lag einsam ein Büstenhalter.
»Gestern hatte ich Gesellschaft«, sagte Eleneldil kein bisschen verlegen. »Hab ein Mädchen kennengelernt …« Er zwinkerte Viktor zu. »Hab sogar bedauert, dass ich verheiratet bin!«
Tels Gegenwart hinderte ihn nicht daran, über seine Liebesabenteuer zu erzählen.
»Aber es lief nicht so … hab also dieses Mädchen aufgegabelt, dachte, ich verkürz mir den Abend. Das war vielleicht
eine, Rada hieß sie … Mein Bier hat ihr nicht geschmeckt, war so eine Kennerin im Rock … die Sage
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