Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
Gefahrlosigkeit.
»Du kannst sie nicht aufhalten, Drachentöter!« Ritor schüttelte den Kopf. »Selbst wenn du ihren Drachen besiegst!«
Der Himmel stand in Flammen.
Ein Feuerball explodierte in der Ferne. Ein blutiger Stern erhob sich über dem Meer. Strömender Regen stürzte vom Himmel, ein kalter, scharfer Regen, der die Haut augenblicklich gefrieren ließ.
»Im Namen der vier Elemente …« Viktor verstummte. So nicht! Irgendwie anders! Dies war nicht das Totenreich, und es war nicht seine Aufgabe, die Graue Grenze zu errichten, die Welten zu verschließen …
Seine Aufgabe?
Hatte er etwa die Graue Grenze errichtet?
Und in diesem Augenblick begann Loj, die tote Loj, sich zu rühren! Entweder Ritor sah es nicht, oder es war ihm schon alles gleichgültig. Der zerschmetterte Körper der Katze regte sich, streckte sich und nahm unter kurzem, krampfartigem Zittern wieder seine alte graziöse Gestalt an. Ein Moment, und die rothaarige Frau hob den Kopf und warf dem Magier der Luft einen schnellen, zornigen Blick zu.
»Für mein siebtes Leben wirst du mir noch büßen, Ritor!«
Der Wind riss ihr die letzten Stofffetzen vom Leib, und Viktor empfand plötzlich, so unpassend der Augenblick auch sein mochte, eine Welle der Leidenschaft. Und Loj schien das zu spüren, drehte sich um und antwortete ihm mit einem dankbaren Lächeln.
»Was stehst du noch herum, Viktor? Lauf!«
Er verstand noch nicht.
»Zum Schloss, du Dummkopf!« Loj rannte zu ihm hin, noch waren ihre Bewegungen eckig und unbeholfen. »Zum Schloss, Herrscher! Was stehst du noch herum, Drache?«
Ritor hob den Kopf und warf Loj einen irren Blick zu, dann starrte er Viktor an. Er hob die Hand, als wollte er seine Augen verdecken.
Loj wandte sich zu ihm: »Du hast dein Blut in ihm gespürt, Ritor! Wie konntest du den Rest nur übersehen? Wie? Hast du versucht, jenen Augenblick aus deinem Gedächtnis zu tilgen?«
»Nein!«, kreischte Ritor. »Nein! Das kann nicht sein!«
Loj schubste Viktor, sie deutete auf den glühenden, blutigen Stern am Himmel … Schon kein Stern mehr – ein Komet …
»Entscheide dich, Viktor! Entscheide dich, Drache oder Drachentöter! Was willst du? Wer wirst du sein?«
Die Felsen schwankten. Die goldenen Steinplatten fielen in die Tiefe, ins brodelnde Wasser, auf den Weg, über den Torn und Tel liefen. Zum Schloss über der Welt gab es schon kein Durchkommen mehr … fast kein Durchkommen.
»Willst du, dass sie es tun muss?« Loj sah Viktor direkt in die Augen. »Der Geheime Clan verfügt nicht über die ganze Kraft! Schick deine Frau nicht in den Kampf, Drache! Für sie ist es der Tod!«
Viktor rannte los. Über die zerberstenden Steine, über den sich auflösenden Weg. Die Regenbogenbrücke schmolz unter den Windstößen, die eisigen Regenstrudel woben eine dichte Wand vor ihm. Er tauchte in den Strom ein – woher kam so viel Wasser, der Himmel konnte doch unmöglich so viel Feuchtigkeit gesammelt haben! Er stürzte, wurde weiter getragen, lief schon nicht mehr – schwamm in dem dichten Gemisch aus Wasser und Luft. Viktor wurde immer weiter zum Abgrund hin gezerrt, und plötzlich erkannte er, dass es zu spät war, dass Loj zu spät gekommen war, dass Ritors wahnsinniger Zorn ihn um die kostbaren Minuten gebracht hatte, in denen er es vielleicht noch geschafft hätte, vielleicht noch das Schloss erreicht und die schwarzen Wände berührt hätte …
Das Wasser flaute mit einem Mal ab, als ob ein gewaltiger Schutzschirm über dem Weg geöffnet worden wäre. Unten war Torn stehen geblieben, schwankend streckte er die Hände über dem Kopf aus, versuchte, dem aufgerissenen Himmel Einhalt zu gebieten. Tel blieb für einen Moment lang stehen und sah zum Magier hinüber, dann rannte sie weiter. Zum Schloss über der Welt, zum schwarzen Stein der Mauern, zu den geöffneten Toren …
Schick deine Frau nicht in den Kampf, Drache …
Viktor rannte auf die Regenbogenbrücke. Die Zierschrift des Lichts unter den Füßen, die Minuten zuvor noch fest wie eine Erdscholle gewirkt hatte, brach nun auf und wand sich, ganz wie eine Erdscholle in Aufruhr. Leuchtender Nebelstaub erhob sich unter ihm und durchbohrte mit farbigen Funken die Luft. Jetzt waren sie gleich weit entfernt vom Schloss – Tel auf dem Pfad, der nach oben führte; Viktor auf dem sich zum Schloss hin senkenden Brückenabschnitt.
»Bleib stehen«, schrie Viktor. »Stehen bleiben!«
Sie hörte ihn nicht. Oder sie glaubte ihm nicht mehr …
Viktor glitt aus.
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