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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Tel verstummte mitten im Satz, und Viktor sah sich alarmiert nach allen Seiten um. Nein, weit und breit war niemand zu sehen. »Warte, das ist nicht richtig«, sagte Tel plötzlich, »es ist schwer zu erklären, was alle wissen … Also, die Welt ist eins.«
    »Danke.« Viktor stimmte ihr aus tiefstem Herzen zu. »Allmählich habe ich schon an meinem Verstand gezweifelt.«
    »Schließlich spricht man ja auch bei einem Hemd nicht von einer inneren Seite, einer äußeren und einer Mitte …«
    Darauf wusste Viktor nichts zu sagen.
    »Die Welt ist eins. Alles hängt davon ab, wie man sie betrachtet. Von welcher Seite. Du hast sie auf der Anderen Seite von innen betrachtet. Dort ist alles anders als bei uns oder in der Welt der Angeborenen.«
    »In der Welt der Angeborenen leben wahrscheinlich Magier und Drachen?«, fragte Viktor beißend.
    »Das ist doch egal. Das ist nur die Form. Die Welt ist eins, aber man kann sie von verschiedenen Seiten betrachten. Und von verschiedenen Seiten leben …«

    »Und die Seiten wechseln?«
    »Manchmal. Das können nicht alle.«
    »Warum?«
    »Weil niemand wählt, auf welcher Seite er geboren wird. Und wenn du dich daran gewöhnst, wirst du die Welt so sehen, wie es um dich herum üblich ist. Du wirst nur noch sehen können, was alle üblicherweise sehen.«
    »Und von welcher Seite siehst du?«
    Das Mädchen lachte leise auf. »Eine gute Frage. Von allen Seiten.«
    »Das heißt, du kannst zwischen den Welten hin und her gehen?«
    »Ja. Also, glaubst du mir?«
    Viktor antwortete nicht sofort. »Dieser Wald ist seltsam. Wir sind auf merkwürdige Weise hergekommen. Und du bist auch …«
    Tel lachte wieder auf. »Auch seltsam?«
    »Mehr als das.« In einem Anfall von Offenheit fügte Viktor hinzu: »Ich war absolut sicher, dass du verrückt bist. All diese Schwerter, Übergänge, dieses rätselhafte Gerede …«
    »Aber es stimmt.« Tel lächelte ironisch. Im Halbdunkel glänzten ihre Augen geheimnisvoll. »Hier hält man mich auch für verrückt, wegen der blauen Flecken aus der Metro, den Übergängen, dem rätselhaften Gerede …«
    »Was für blaue Flecken?«
    »Am Anfang wusste ich nicht, dass man schnell einsteigen muss, weil sich die Türen dann schließen …«
    »Hm …« Viktor stellte sich vor, wie Tel die Absperrungen mit einem Sprung überwand und schwarzfuhr.
    »Aber du hast dich benommen, als ob du dich über nichts wunderst …« Er erinnerte sich an alles, was sie getan hatte, und schüttelte den Kopf. In der Metro hatte sie sogar
einer Frau über die Schulter geschaut und in deren Roman mitgelesen …
    »Aber du benimmst dich doch auch, als ob du dich über nichts wundern würdest.« Eins zu null für sie.
    »Bisher ist ja nichts los.«
    »Freu dich, dass nichts los ist!«
    Tels Stimme war ernst geworden. Und Viktor sah sich um. Nein, wieder nichts … Oder? Nein, falscher Alarm. Nur die Schlucht, das ausgetrocknete Flussbett, die verwobenen, miteinander verwachsenen Baumkronen an den Abhängen. Klar, warum Tel diesen Weg gewählt hatte, oben gab es kein Durchkommen. Vor ihnen verband der dicke Stamm eines umgestürzten Baumes die beiden Hochufer der Schlucht wie eine Brücke, die nicht von Menschenhand gemacht war. An den Zweigen des gefällten Riesen hingen noch Blätter, ein wenig verwelkt, aber noch grün. Es war ein kräftiger Baum, und er war nicht vom Alter gefällt worden.
    »Gibt es hier so starke Stürme?«, fragte er.
    »Wo hier?« Tels Stimme war voller Ironie.
    »In der Mittelwelt«, verbesserte sich Viktor resigniert.
    »Dieser Baum ist nicht durch einen Sturm umgestürzt. Das ist die Graue Grenze. Früher fand hier ein Krieg statt.«
    »Vor nicht allzu langer Zeit, oder?«
    »Vor hundert Jahren. Aber er ist noch nicht für alle beendet, Viktor.«
    »Sind etwa bis heute Partisanen im Wald unterwegs?« Er versuchte zu lächeln.
    »Es gab eine große Schlacht. Zwei Armeen … eine aus Menschen und eine aus Nicht-Menschen. Die Armee der Menschen wurde fast vollständig vernichtet. Die Schwerter verloren gegen die Pfeile und Äxte …« Das Mädchen verstummte, blieb stehen und blickte zu dem umgestürzten
Stamm hinüber. Sie sagte entschieden: »Lass uns stehen bleiben, Viktor. Irgendwas gefällt mir hier nicht, ganz und gar nicht.«
    Es herrschte eine Grabesstille, eine tödliche Stille. Kein Laut. Und es war so dunkel, dass man nichts erkennen konnte – nur die vagen Umrisse der Bäume vor dem dunklen Himmel.
    »Dann schalteten sich die Magier in den Kampf

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