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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Reden half ihm, die Kälte und das ekelhafte Schmatzen des Wassers in den Schuhen zu vergessen.
    »Wir haben uns dann aufgewärmt … auch an so einem Feuer wie deinem. Auf dem Nachhauseweg haben wir uns verirrt. Um ins Dorf zurückzukommen, mussten wir durch eine steile Schlucht – wir hatten keine Kraft mehr, sie zu umgehen. Großmutter ist irgendwie runter- und auf der anderen Seite wieder hochgeklettert, mir befahl sie zu springen. Ich bin gesprungen, und sie hat mich aufgefangen, aber ich hatte schreckliche Angst.«
    »Eine ganz schön abenteuerlustige Großmutter«, sagte Tel. Ihm war nicht klar, ob sie das wohlwollend oder ironisch meinte.

    »Du bist ihr irgendwie ähnlich«, sagte Viktor zu seiner eigenen Überraschung. »In fünfzig Jahren …«
    »Danke«, schnaubte Tel.
    Sie gingen einige Minuten lang schweigend. Aber Viktor forschte in seinem Gedächtnis mit wachsender Neugier nach den Einzelheiten jenes, wie es schien, längst vergessenen Erlebnisses. Hatte er sich am Feuer verbrannt? Nein, er wusste es nicht mehr. Aber es kam ihm so vor. Natürlich gab es das Gesetz des sich wiederholenden Zufalls. Aber doch nicht in dieser Form!
    »Tel, wir müssen doch nicht von diesen Felsen runterspringen?« Viktor bemühte sich, die Frage scherzhaft klingen zu lassen.
    »Nichts und niemand können dich dazu zwingen, irgendetwas zu tun«, sagte sie.
    »Was tue ich dann hier?«, erkundigte sich Viktor düster.
    »Das, was du selbst willst.«
    »Ich will etwas essen«, sagte er ehrlich. »Selbst die Reste vom Rührei würde ich aufessen. Mit Schale.«
    »Viktor, ich würde auch gern was essen.«
    Plötzlich schämte er sich. Schließlich war er ein gesunder, kräftiger Mann. Neben ihm ging ein minderjähriges Mädchen, und er jammerte noch …
    »Na, dann müssen wir eben das nächstbeste Restaurant ansteuern«, sagte Viktor. »Eine weiße Tischdecke, silbernes Besteck, eine Kerze auf dem Tisch, vorgewärmte Teller …«
    »Und was liegt auf den Tellern?«, fragte Tel neugierig.
    Aus irgendeinem Grund dachte er gleich an Frikadellen und Pelmeni 5 . Der typische Speiseplan eines Junggesellen. Er war schon lange in keinem Restaurant mehr gewesen … vorgewärmtes Porzellan, gedämpftes Licht, eine Flasche
Wein in einem geflochtenen Korb; und neben ihm am Tisch eine junge hübsche Frau im Abendkleid.
    Viktor blickte zu Tel hinüber. Nein, diese Rolle passte nicht zu ihr – weder zu ihrem Alter noch zu ihrem Benehmen. Nun ja, und er hatte auch nicht gerade viel mit einem Salonlöwen gemein.
    »Auf den Tellern ist Haferbrei«, erklärte Viktor mürrisch. »Kalter Brei mit Klumpen.«
    »Geht nicht«, entschied Tel. »Wenn du auf Brei bestehst, müssen wir hungrig im Wald übernachten.«
    »Und wenn ich nicht darauf bestehe?«
    »Dann finden wir eine Unterkunft, und etwas zu essen wird es auch geben.«
    Der Wald rundherum war ganz jungfräulich und menschenleer. Dennoch schienen Tels Worte völlig ernst gemeint.
    »Machst du auch keine Witze?« Viktor wollte es ganz genau wissen.
    »Hinter Cholmogorje liegt eine Siedlung. Sie ist klein, aber dort verläuft die Route, und wir können eine Rast machen.«
    Was war das nun wieder, die Route? Viktor fragte nicht nach. Wahrscheinlich war ihm das zuletzt als Kind passiert, dass er – aus reiner Neugier – beschlossen hatte, keine Fragen zu stellen. Die Route – also gut, dann eben die Route. Cholmogorje – auch gut. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er tief in seinem Inneren ohnehin alles wusste. Was die Graue Grenze war, was die Route und was Cholmogorje.
    Wieder gingen sie eine Weile, ohne zu reden. Tel gehörte offenbar nicht gerade zur geschwätzigen Sorte Mädchen.
    Der Weiße Berg lag schon längst hinter ihnen. Tel blickte immer wieder mal besorgt zur Sonne – sie war offensichtlich beunruhigt. Was nicht zu ihr passte. Viktor hatte sich
an den Gedanken gewöhnt, dass sie auch im Angesicht eines angriffslustigen ussurischen Tigers oder eines vorsintflutlichen Mammuts keine Augenbraue heben würde, sondern einfach …
    Hinter ihrer unbegreiflich sicheren Haltung verbarg sich Dunkelheit. Dunkelheit, die – gleich einem Umhang – Kraft verdeckte.
    »Wir kommen langsam vorwärts«, sagte Tel besorgt. »Wir müssen noch die Windbruchschlucht durchqueren, und die Sonne steht schon tief.«
    In Viktors Augen hatten sie ohnehin bereits wahre Wunder der Ausdauer vollbracht, zu einem solchen Fußmarsch waren normalerweise nur echte Touristen fähig. Durch diesen uralten

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