Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
streiften spielerisch über ihre Wangen. Am Himmel über den Köpfen der sieben Magier entfaltete etwas langsam seine Flügel. War es ein Vogel, eine Libelle oder ein Schmetterling? Weiße Fäden fügten sich zu einem Paar gewaltiger Flügel zusammen, welche die ganze Welt zu umfassen schienen, vom Warmen Ufer bis zur unbekannten nördlichen Tundra; noch ein Faden rankte sich, und noch einer; schwer ist es, Spitzen zu klöppeln, besonders, wenn es noch nicht die Stunde der größten Kraft ist.
Ritor gab den Ton und das Tempo vor. Als Ältester war er verpflichtet, alle zu spüren und zu erkennen, wann sie an Tempo zunehmen, wann sie abnehmen und wann sie den Alten die Bürde erleichtern mussten. Wenn er sich hier irrte und die Kraft vergeudete, würde der Wind alles zu Staub zerwehen. Gaj und sein Bruder Roj flochten virtuos. Sie vermochten viel, sehr viel, aber das Alter forderte seinen Tribut. So großartig sie hier auf dem Gipfel des Spitzzahns
ihre Magie wirkten, auf dem Schlachtfeld gegen Torns junge Magier stünden ihre Chancen schlecht.
Sie mussten beide finden. Den Drachen und auch – ach, wie wunderbar wäre das! – den Drachentöter. Wenn Torn nicht geblufft hatte – und zu bluffen war nicht seine Art -, dann musste der Drachentöter schon hier sein. Und der Drache? Wer wusste das schon … Auch Ritor konnte sich nicht vollständig auf seine Gefühle verlassen. Die Ankunft des Herrschers fand nicht in einer feierlichen Parade statt, denn auch der Geflügelte hatte noch nicht alle Weihen durchlaufen. Sogar Ritor musste sich der Zauberei bedienen, um jenen, der sich als ewiger Herr der Mittelwelt erwiesen hatte, ausfindig zu machen.
Beide zu finden war eine fast unerfüllbare Aufgabe. Aber verdammt, nun waren sie verpflichtet durchzuhalten. Oder zumindest den Drachentöter zu finden – was schwerer wäre, da er die Magie schwächer reflektieren würde als der Drache.
Gaj dehnte sich. Die weißen Flügel am Himmel waren der Erfolg seiner Arbeit. Genau wie der Wind, der straff und straffer gezogen wurde, der kämpfend und zürnend in einen allerfeinsten, unsichtbaren Windkanal gedehnt wurde und dann grimmig nach außen brach, ebenso wob und zog und dehnte Gaj den endlosen, lebendigen Faden, den Sandra und Solli am Himmel zu einem wundersamen Muster kräuselten. Nur wenige vermochten aus dem chaotisch geflochtenen Muster die Linien der Großen Runen zu lesen, die die Vertriebenen vom Heißen Meer mitgebracht hatten.
Asmunds Handfläche war nass vor Schweiß. Der Junge strengte sich bis zum Äußersten an, denn jetzt floss die Große Kraft durch ihn, und er musste fast die gesamte,
ungeheuere Gewalt des Rückstoßes auf sich nehmen; den Zorn der schlafenden Giganten der Luft, die aus ihrem warmen, tiefen Schlummer geweckt und unbarmherzig in den rasenden Wirbel über dem steinernen Spitzzahn gezwungen wurden. Der Junge gab seine ganze Kraft. Jede neue Windung der Flügel rief qualvolle Krämpfe in seinen Lungen hervor – es schien, als ob eine riesige Pumpe die Luft direkt aus ihnen heraussaugte, so dass der Brustkorb des Knaben sich krümmte und knackte. Aber Asmund blieb stehen, und kein Schmerz konnte die Begeisterung darüber zunichte machen, dass er jetzt ein wirklicher Magier war und sich durch seinen Willen die gewaltigen Flügel über dem Steilfelsen entfalteten.
Boletus hustete zur Warnung. Die Windflügel, die über ihnen dahinglitten, zogen jetzt dank der durch Magie freigesetzten Kräfte Myriaden kleinster Windstrudel zu sich heran – aus allen Winkeln des großen Reiches.
Über der grenzenlosen, kaum hügeligen Ebene, die sich vom Warmen Ufer Hunderte von Kilometern in Richtung Norden erstreckte, beschleunigten die erzürnten Windströme ihre Geschwindigkeit ins Unermessliche und rasten geradewegs auf den Spitzzahn zu. Dort in der Höhe wuchs mit jedem Moment das wahnsinnige Tosen, denn der Wind hasste die Fragen und ordnete sich niemandem unter; nur mit Gewalt konnte man ihm Auskünfte entreißen, und wehe dem, der den Schlag seiner Antwort nicht ertrug.
Ritor sah, wie Gaj blass wurde und dessen älterer Bruder zu schwanken begann. Entschuldige, Asmund, dachte er, gleich werden die Schmerzen noch größer. Es ist gemein, aber du bist unser lebendiges Schild, und daran ist nun nichts mehr zu ändern. Die Jahre der Widerstandsfähigkeit vergehen im Flug, Asmund. Ich habe meine damit vergeudet,
den Letzten Drachen zu jagen … vergeblich, wie ich jetzt weiß.
Asmund zuckte plötzlich
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