Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
Erzählungen über die Tollheiten der jungen Kater verbreiteten sich in der ganzen Mittelwelt und trugen einiges zu Lojs eigenem Ruhm bei. Klug war ihre Großmutter gewesen; und wenn Loj gelegentlich in den Sonnenuntergang blickte, wohin die Alten des Clans, der Tradition folgend, zum Sterben gingen, dann erinnerte sich die Enkelin mit Wärme an ihre Ahnin …
»Ich habe Eilboten zum Clan des Feuers geschickt«, sagte Loj. Hinter den Wänden heulte düster der Wind – verdächtig stark heulte er. Hatte der stolze Ritor am Ende befunden, dass man die Katzen nicht aus den Augen lassen durfte? Dann stand es schlecht. Sich mit dem mächtigsten Zauberer der Mittelwelt anzulegen, dazu verspürte Loj nicht die geringste Lust. »Eine Antwort müssten wir übermorgen erhalten …«
»Und mit welcher Antwort rechnest du?«, fragte Kari.
Loj zuckte mit den Schultern. Dies war einer der seltenen Fälle, in denen man nicht die geringste Ahnung hatte. Für gewöhnlich bestätigten die Nachrichten ihrer Kundschafter bloß ihre eigenen Vermutungen, aber diesmal blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten, und das ärgerte die ungeduldige Katze maßlos.
In Lojs Boudoir war es überraschend eng. Im Vergleich zu dem weitläufigen Ballsaal wirkte das befremdlich. Aber daran war nichts zu ändern, denn es entsprach ganz der Natur des Clanoberhaupts: Wahre Behaglichkeit fanden die Frauen des Clans nämlich nur in solchen heimeligen, halbdunklen, mit weichen Kissen ausgelegten Räumlichkeiten. Die Freundinnen lehnten bequem in den Polstern, und jede hatte auf einem Tischchen vor sich einen kleinen Krug mit ihrem Lieblingswein. Aber sie rührten ihre Getränke fast nicht an, sondern schwiegen in dem Bewusstsein, dass die Situation für einen ganz normalen fröhlichen Mädchenabend einfach zu ernst war.
»Es ist irgendwie ungewöhnlich, so über die Ereignisse im Dunkeln zu tappen«, bemerkte die affektierte Lola, die Einzige aus Lojs Umfeld, die von der Anderen Seite stammte. Ihren eigenen Erzählungen zufolge war sie dort eine große Gelehrte gewesen – vergleichbar einem Magier in der Mittelwelt. Aber Loj war schon vor langer Zeit zu der Überzeugung gekommen, dass die Geschichten derer, die aus anderen Welten kamen, nicht allzu viel Wahres enthielten. Sie waren eher Träume …
»Wie konnte uns Torn nur entwischen?«, seufzte Ota. Sie war eine starke Persönlichkeit, eine blendende Schönheit und eine gute Magierin. Frauen ihrer Sorte band Loj mit einem einzigen Ziel an sich: um sie immer im Auge zu
haben, sie kontrollieren zu können und auf diese Weise, mit vorsätzlicher Freundschaftlichkeit, mögliche Intrigen zu vereiteln.
»Was ist los mit euch, Mädchen?«, sagte Loj mit gerunzelter Stirn. Sie durfte Ota auf keinen Fall zustimmen. »Wollen wir hier vor Bedauern zerfließen? Wollen wir uns etwa mit Selbstvorwürfen zermartern, weil uns einer entwischt ist? Wir, die Katzen? Wollen wir in Panik verfallen? Wir werden Torn und diesen stolzen Ritor schon noch dazu bringen, nach unserer Pfeife zu tanzen! Sagt mir lieber, was es war, was die beiden nicht teilen konnten.«
»Sicher nicht die Macht«, bemerkte die dunkelhaarige Kari bedächtig. »Ritor hängt nicht daran.«
»Das ist richtig«, stimmte Ota ihr zu. »Er hat noch nie versucht, die Oberherrschaft …«
»Ritor hat nur eine, dafür aber durch und durch glühende Leidenschaft«, erklärte Lola, »und das sind die Angeborenen.«
»Genau«, pflichtete Loj ihr bei. »Aber was hat das für einen Zusammenhang mit Torn? Das Wasser hat nie viel für die anderen Clans an diesem Ufer übriggehabt … Ich würde sogar sagen, das Gegenteil war der Fall.«
»Also doch die Macht?« Kari verschränkte ihre schmalen Arme.
»Was Torn angeht, ist das immerhin denkbar.« Lola zog bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch. »Er ist stark … und ehrgeizig. Reich. Er presst die Abgaben mit allen Mitteln aus seinen Leuten heraus. Und das Strafkommando des Wassers kennt keine Erschöpfung. Könnte es sein, dass sie sich wegen des Clans der Erde in die Haare geraten sind?«
»So heftig, dass sie ihren Streit auf meinem Ball austragen?« Loj schüttelte erregt den Kopf. »So gierig ist nicht einmal Torn.«
»Er hat unsere Gepflogenheiten bislang immer geachtet«, sagte Ota nachdenklich. »Es muss etwas ganz und gar Außerordentliches geschehen sein.«
»Allgemeine Phrasen helfen uns nicht weiter«, unterbrach Loj die Freundin. »Etwas Außerordentliches … so was darf es bei uns
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