Drachenreiter
bebte. »Wen haben wir denn da? Das ist doch der Professor, der meine Schuppe gestohlen hat. Na, so eine Überraschung.«
Mit ein paar Schwanzschlägen ließ er sich zur Seite treiben, bis sein Panzer an das felsige Ufer stieß. Das Schiff glitt an ihm vorbei, ohne dass die Menschen darauf ahnten, welcher Gefahr sie entronnen waren. Nur das Mädchen blickte dorthin, wo Nesselbrand im Wasser lauerte. Es zog seinen Vater am Ärmel, rief etwas in das Tosen des Flusses, aber Barnabas Wiesengrund strich seiner Tochter nur abwesend übers Haar und blickte weiter zu den Bergen hinauf.
»Ah, Ihr werft es doch nicht um!«, seufzte Kiesbart, der sich schon so fest wie möglich an ein Horn geklammert hatte. »Sehr klug. Sehr klug, Euer Goldheit! Das hätte nämlich nur Ärger gebracht.« Dann merkte er, dass sein Meister erneut die Richtung änderte. »He, wo geht es denn jetzt hin?«, rief er und wrang ärgerlich seinen Bart aus. »Ich denke, wir wollen zurück, Euer Goldheit! Zurück zu der Stelle, wo Ihr die Witterung verloren habt!«
»Wollen wir nicht mehr!«, antwortete Nesselbrand und schwamm den Fluss hinauf, als spürte er die Gegenströmung gar nicht. »Ein guter Jäger folgt seiner Nase und meine sagt mir, dass ich den Silberdrachen wieder finde, wenn ich dem dünnen Menschlein folge. Verstehst du?«
»Nein«, maulte Kiesbart und nieste dreimal hintereinander.
»Das macht nichts«, knurrte Nesselbrand. »Ihr Zwerge seid Maulwürfe, keine Jäger. Du kannst wahrscheinlich nicht mal Kellerasseln fangen. Sei jetzt still und pass auf, dass der Fluss dich nicht von meinem Kopf leckt. Könnte sein, dass ich dich noch brauche.« Dann folgte er dem Menschenschiff in die anbrechende Nacht.
»Aber ich hab ihn wirklich gesehen!«, sagte Guinever zu ihrem Vater, der immer noch an der Reling stand und die Berge betrachtete.
»Man sieht viel in schäumendem Wasser, mein Schatz«, antwortete Barnabas Wiesengrund und sah sie lächelnd an. »Vor allem auf einem so heiligen Fluss wie diesem.«
»Aber er sah genauso aus, wie du erzählt hast!«, rief Guinever. »Seine Schuppen waren golden und seine Augen ganz scheußlich rot!«
Barnabas Wiesengrund seufzte. »Das beweist nur, dass deine Mutter Recht hatte. Ich habe dir von diesem grässlichen Ungeheuer einfach zu viel erzählt.«
»Blödsinn!«, rief Guinever und schlug ärgerlich auf die Reling. »Du hast mir immer viel erzählt. Seh ich deshalb überall Feen oder Riesen oder Basilisken?«
Barnabas Wiesengrund sah sie nachdenklich an. »Nein, tust du nicht«, gab er zu.
Über den schneebedeckten Bergen leuchteten die Sterne. Es wurde bitterkalt. Der Professor wickelte seiner Tochter den Schal noch etwas fester um den Hals und blickte ihr ernst in die Augen.
»Erzähl mir noch einmal genau, was du gesehen hast.«
»Er guckte aus dem Wasser«, sagte Guinever. »Ganz in der Nähe vom Ufer. Seine Augen haben geglüht wie Feuerbälle, er ...«, sie hielt die Hände über den Kopf, »... hatte zwei scheußliche Hörner und an einem hing ein Zwerg! Ein pitschnasser Zwerg!«
Ihr Vater holte tief Luft. »Das hast du alles gesehen?«
Guinever nickte stolz. »Ihr habt mir beigebracht genau hinzugucken.«
Barnabas Wiesengrund nickte. »Ja, und du warst eine gute Schülerin. Die Feen in unserem Garten hast du immer als Erste gesehn.«
Nachdenklich blickte er hinunter in den Fluss. »Das würde bedeuten, dass Nesselbrand nicht im Sand versunken ist«, murmelte er. »Weiß Gott, keine gute Nachricht. Wir werden es Lung erzählen müssen. Sobald wir ihn am Kloster treffen.«
»Meinst du, er folgt uns?«, fragte Guinever.
»Wer?«
»Nesselbrand.«
»Uns?« Erschrocken sah ihr Vater sie an. »Das hoffe ich doch nicht.«
Den Rest der Nacht blickten sie beide immer wieder über die Reling in den dunklen Fluss. Aber die Nacht verbarg Nesselbrand vor ihren Augen.
EINE ALTE FEUERSTELLE
»Tut mir Leid«, sagte Ben und beugte sich mit einem Seufzer über die Karte der Ratte. »Keine Ahnung, wo wir sind. Solange wir den Fluss raufgeflogen sind, war alles klar, aber jetzt«, er zuckte die Achseln. »Wir könnten überall sein.«
Er tippte mit dem Finger auf all die weißen Flecken, die östlich vom Flusslauf des Indus wie Löcher in der Karte klafften.
»Das sind ja schöne Aussichten!«, stöhnte Schwefelfell. »Was wird der Professor denken, wenn wir nicht rechtzeitig am Kloster sind?«
»Alles meine Schuld«, murmelte Ben und faltete die Karte wieder zusammen.
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