Drachenreiter
Platz vor der Gebetshalle erreichten, war der Zwerg verschwunden.
Schwefelfell schnüffelte schimpfend in jeden dunklen Winkel. Ein paar Mönche, die vom Holzsammeln kamen, sahen ihr erstaunt zu. Als der Lama sie fragte, ob sie eine kleine Gestalt hatten fortlaufen sehen, deuteten sie zu der Mauer, auf der immer noch Lola Grauschwanz neben ihrem Flugzeug schnarchte. Ben und Guinever rannten hin, hängten sich Seite an Seite über die Mauer und spähten suchend in die Tiefe. Aber nichts Verdächtiges regte sich an der steilen Flanke des Berges.
»Verdammt!«, schimpfte Ben. »Er ist uns entwischt!«
»Wer?«, fragte Lola Grauschwanz und setzte sich verschlafen auf.
»Ein Spion«, antwortete Ben. Er drehte sich zu Lung um. »Was jetzt? Was sollen wir tun? Er wird Nesselbrand alles erzählen.«
Der Drache schüttelte nur den Kopf.
»Ein Spion?«, fragte die Ratte ungläubig. »Was denn für ein Spion?«
»Der, den du auf deinem Erkundungsflug nicht entdeckt hast«, fauchte Schwefelfell und hielt die Nase in den Wind. »Ich kann ihn einfach nicht riechen, den Natternstieligen Schleimfuß! Irgendwas verstopft mir die Nase!«
Sie sah sich um. Dann zeigte sie auf einen Haufen brauner Fladen, die sich vor der Mauer stapelten. »Was ist das?«
»Dung«, antwortete Barnabas Wiesengrund. »Getrockneter Yakmist, wenn du es genau wissen willst.«
Der Lama nickte und sagte ein paar Worte. »Er sagt«, übersetzte Fliegenbein, »dass sie den Dung zum Heizen brauchen, weil das Holz hier rar ist.«
Schwefelfell stöhnte auf. »Wie soll ich denn bloß was riechen?«, rief sie verzweifelt. »Wie soll ich den verdammten Zwerg riechen, wenn alles nach Yakmist stinkt? Was immer das ist.«
»Soll ich die Felsen hinunterklettern, junger Herr?«, fragte Fliegenbein.
Aber Ben schüttelte den Kopf. »Das ist viel zu gefährlich.« Er seufzte. »Er ist uns entwischt, da kann man nichts machen.«
»Dass man mit so kurzen Beinen so schnell laufen kann«, sagte Vita Wiesengrund. »Unglaublich. Tja, Steinzwerge sind flinke Kerlchen, vor allem in den Bergen.«
»Solange ihnen niemand den Hut wegnimmt.« Fliegenbein kroch auf die Mauer und lugte in die Tiefe. Einen Atemzug lang glaubte er, ein leises Schnaufen zu hören. Aber der Abgrund machte ihn schwindelig und er zog den Kopf wieder ein.
»Was passiert, wenn man ihnen den Hut wegnimmt?«, fragte Ben.
»Ihnen wird schwindelig«, antwortete Fliegenbein und kletterte zurück auf Bens Arm.
»Das kommt davon, wenn man seinen Kindern nicht glaubt!«, murmelte Barnabas Wiesengrund düster. Er legte Guinever den Arm um die Schulter. »Ich muss mich bei dir entschuldigen. Du hattest Recht und ich bin ein alter Blindfisch.«
»Ach, ist schon gut«, antwortete Guinever. »Zu schade, dass ich Recht hatte.«
Lung streckte den Hals über die Mauer und blickte hinunter auf den Fluss, in dessen braunem Wasser sich die Sonne spiegelte.
»Wir müssen also schneller sein als Nesselbrand«, sagte er. »Der Zwerg hat bestimmt alles gehört, was Burr-burr-tschan gesagt hat, und sie werden sich gleich auf den Weg machen.«
»Aha, ihr habt erfahren, wo der Saum des Himmels ist, und dieser Spion hat es gehört!« Lola Grauschwanz sprang auf. »Na und? Er kann nicht fliegen, dieser goldene Drache, oder? Da wird es für Lung doch ein Kinderspiel sein, ihn abzuhängen.«
Aber Fliegenbein schüttelte bedrückt den Kopf. »Stell dir das nicht so leicht vor. Nesselbrand kennt viele Wege.« Ärgerlich schlug er sich auf die spitzen Knie. »Oh, warum hat Burr-burr-tschan nur so genau beschrieben, wo die Drachen sind?«
»Den Eingang der Höhle kann er nicht finden«, meinte Guinever. »Burr-burr-tschan hat gesagt, keiner findet ihn.«
»Ja, wenn wir Nesselbrand nicht hinführen«, knurrte Schwefelfell grimmig.
Alle schwiegen.
»Es war ja auch zu schön gewesen, wenn er im Sand versunken wäre«, murmelte Ben mit düsterer Miene.
Da legte ihm der Lama die Hand auf die Schulter und sagte etwas. Ben sah Fliegenbein fragend an.
»Das wäre zu leicht, Drachenreiter«, übersetzte der Homunkulus.
Ben schüttelte den Kopf. »Kann sein«, sagte er. »Aber ich hätte es eigentlich ganz gern mal leicht.«
An die dünne Luft auf dem Dach der Welt hatten sich Ben und die anderen schon recht gut gewöhnt. Aber die Mönche bestanden darauf, ihnen Proviant und etwas Warmes zum Anziehen mitzugeben für den Flug über die großen Berge. Selbst Schwefelfell sah ein, dass sie sich gegen die Kälte über den
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