Drachenreiter
er.
Sein Versteck war gut gewählt. Als Lung und die anderen wieder aus der Gebetshalle traten, bekam Kiesbart zwar nicht viel mehr zu sehen als zahllose Mönchsfüße in ausgetretenen Sandalen. Aber als alle oben im Dükhang beteten, ließen Ben und Guinever sich nur einen Steinwurf entfernt von ihm auf der Mauer nieder. So erfuhr Kiesbart, dass eine fliegende Ratte nach seinem Meister Ausschau gehalten und ihn nicht gefunden hatte und dass der Junge wirklich glaubte, Nesselbrand wäre im Wüstensand versunken. Der Zwerg sah den Stein in der Hand des Lamas und hörte vom Rätsel des Dschinns. Er sah, wie Ben den Stein entgegennahm, und als Lung und seine Drachenreiter dem Mönch folgten um das Rätsel des Dschinns zu lösen, schlich Kiesbart ihnen hinterher.
BURR-BURR-TSCHAN
Der Lama führte seine Besucher auf die andere Seite des Klostergeländes, dorthin, wo der Gönkhang und der Lhakhang standen, der Tempel der zornigen und der der friedfertigen Götter.
Von Mauer zu Mauer huschend folgte ihnen Kiesbart, Nesselbrands Spion.
Als sie an dem roten Tempel vorbeigingen, blieb der Lama stehen.
»Dies ist«, übersetzte Vita Wiesengrund seine Worte, »der Tempel der zornigen Götter, die alles Böse vom Kloster und dem Dorf fern halten sollen.«
»Was denn zum Beispiel?«, fragte Schwefelfell und sah sich unbehaglich um.
»Böse Geister«, antwortete der Lama, »Schneestürme, Lawinen, Erdrutsche, schlimme Krankheiten ...«
»Hunger«, fügte Schwefelfell hinzu.
Der Lama lächelte. »Das auch.«
Dann ging er weiter. Kiesbart befiel ein seltsamer Schauder. Mit weichen Knien schlich er vorbei an den dunkelroten Mauern. Sein Atem ging schneller und es war ihm, als schöben sich Hände aus den Tempelmauern, die nach ihm griffen, ihn packten und hineinzogen in die Dunkelheit.
Mit einem spitzen Schrei sprang er vor, Barnabas Wiesengrund fast in die Hacken.
»Was war das?«, fragte der Professor und drehte sich um. »Hast du das auch gehört, Vita?«
Seine Frau nickte. »Das klang, als wärst du einer armen Katze auf den Schwanz getreten, Barnabas.«
Der Professor schüttelte den Kopf und sah sich noch mal um, aber Kiesbart hatte sich in einem Mauerloch versteckt.
»Vielleicht waren es böse Geister«, sagte Guinever.
»Wahrscheinlich«, meinte ihr Vater. »Kommt, ich glaube, der Lama ist am Ziel.«
Der alte Mönch war dort stehen geblieben, wo der Hang des Berges sich gegen die Klostermauern presste. Wie ein löchriger Käse sah der Fels an dieser Stelle aus. Ben und Schwefelfell legten die Köpfe in den Nacken. Überall im Gestein klafften Löcher. Sie alle waren so groß, dass Schwefelfell und Ben bequem hineingepasst hätten.
»Was ist das?«, fragte Ben und sah den Lama fragend an. Fliegenbein war wieder sein Übersetzer.
»Es sind Wohnungen«, antwortete der Lama. »Die Wohnungen von denen, die du zu Hilfe rufen willst. Sie lassen sich nicht oft sehen. Nur sehr wenige von uns haben sie zu Gesicht bekommen. Aber es sollen freundliche Wesen sein. Und sie sind vor uns hier gewesen, lange vor uns.«
Der Lama trat auf die Felswand zu und zog Ben mit sich. Im Dunkeln hatte der Junge es nicht gleich gesehen, aber aus dem Fels ragten die Köpfe zweier steinerner Drachen.
»Sie sehen aus wie Lung«, flüsterte Ben. »Genau wie Lung.« Er spürte den warmen Atem des Drachen auf seinem Rücken.
»Das sind der Drache des Anfangs und der Drache des Endes«, erklärte der Lama ihm. »Für das, was du vorhast, solltest du den Anfang wählen.«
Ben nickte.
»Los, Drachenreiter, schlag zu«, zischte Schwefelfell. Da hob Ben den Mondstein und schlug ihn mit aller Kraft auf die Hörner des steinernen Drachen.
Der Stein zerbarst in tausend Splitter. Und allen schien es, als hörten sie ein Poltern, das langsam im Innersten des Berges verschwand. Dann war es still. Ganz still. Sie warteten. Die Berge warfen ihre Schatten auf das Kloster, während die Sonne langsam hinter ihnen versank. Ein kalter Wind strich von den Schneegipfeln herab. Da erschien plötzlich eine Gestalt in einem der Felsenlöcher, hoch über den Köpfen der Wartenden.
Es war ein Kobold. Er sah fast so aus wie Schwefelfell, nur dass sein Pelz heller und dicker war. Und er hatte vier Arme - vier Arme, mit denen er sich gegen die Felsen stützte.
»Zwanzig Finger, Fliegenbein«, flüsterte Ben. »Er hat zwanzig Finger. Wie der Dschinn gesagt hat.«
Der Homunkulus nickte nur.
Misstrauisch blickte der fremde Kobold hinunter, musterte
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