Drachenreiter
von einem Steindrachen. Kannst du mir mal erklären, was das heißen soll?«
»Noch nicht«, antwortete Ben. »Aber das werd ich schon noch verstehen.«
»Und das mit den zwanzig Fingern?« Das Koboldmädchen senkte die Stimme. »Wenn dieser blaue Bursche uns mal bloß nicht veralbert hat.«
»O nein, nein!« Fliegenbein kletterte auf Bens Schoß. »Das ist einfach die Art von Dschinnen sich auszudrücken. Der junge Herr hat Recht. Die Worte werden sich von selbst erklären. Du wirst sehen.«
»Na, hoffentlich«, brummte Schwefelfell und rollte sich unter einem riesigen Farnblatt zusammen.
Lung legte sich neben sie und ließ den Kopf auf die Tatzen sinken. »Das Mondlicht zerschlagen«, murmelte er. »Das hört sich wirklich rätselhaft an.« Er gähnte und schloss die Augen. Es wurde kalt und dunkel unter den Palmen. Ben und Schwefelfell schmiegten sich dicht an Lungs warme Schuppen und bald waren alle drei eingeschlafen.
Nur Fliegenbein saß wach neben ihnen zwischen den weißen Blüten, deren Duft ihn schwindlig machte. Er lauschte Bens ruhigem Atem, betrachtete Lungs Silberschuppen, sein freundliches Gesicht, das so ganz anders war als das seines Meisters - und seufzte. Eine Frage summte in seinem Kopf herum wie eine eingesperrte Hummel:
Sollte er seinem Meister von der Antwort des Dschinns berichten? Und damit den Silberdrachen verraten?
Fliegenbeins kleiner Kopf schmerzte so sehr von dieser Frage, dass er die Hände gegen die klopfenden Schläfen presste. Die Schuppe hatte er dem Jungen auch noch nicht gestohlen. Er lehnte sich an Bens Rücken und schloss die Augen. Vielleicht würde ja im Schlaf endlich etwas Stille hinter seiner Stirn einziehen. Aber gerade als er merkte, wie der ruhige Atem der anderen drei ihn einschläferte, zupfte etwas an seinem Ärmel. Erschrocken fuhr der Homunkulus hoch. Wollte ihn etwa eine der abscheulichen Rieseneidechsen anknabbern, die überall zwischen den Schlingpflanzen saßen?
Aber es war Rabe, der vor Fliegenbein im Blättergewirr hockte und mit dem Schnabel an seinem Ärmel zerrte.
»Was willst du?«, flüsterte der Homunkulus ärgerlich.
Er stand leise auf und winkte den Raben von den Schlafenden weg. Der große Vogel stakste hinter ihm her.
»Du hast deinen Bericht vergessen«, krächzte er. »Wie lange willst du noch damit warten?«
»Was geht dich das an?« Fliegenbein blieb hinter einem hohen Busch stehen. »Ich - ich will noch warten, bis wir über dem Meer sind.«
»Warum denn das?« Der Rabe pickte sich eine Raupe von den Zweigen und blickte den Homunkulus misstrauisch an. »Es gibt überhaupt keinen Grund zu warten«, krächzte er. »Davon wird der Meister nur ärgerlich. Was hat der Dschinn gesagt?«
»Das berichte ich unserem Meister«, antwortete Fliegenbein ausweichend. »Du hättest ja besser hinhören können.«
»Baah!«, krächzte der Rabe. »Dieser blaue Kerl hörte überhaupt nicht auf zu wachsen. Da habe ich mich lieber in Sicherheit gebracht.«
»Nun, das ist dein Pech.« Fliegenbein kratzte sich das Ohr und lugte durch die Zweige zu Lung hinüber. Aber der Drache und seine Freunde schliefen tief und fest, während die Schatten in der Schlucht immer schwärzer wurden.
Der Rabe fuhr sich mit dem Schnabel durchs Gefieder und sah den Homunkulus missbilligend an.
»Du wirst langsam zu frech, Winzling«, krächzte er. »Das gefällt mir nicht. Vielleicht sollte ich dem Meister davon berichten.«
»Oh, tu das! Damit erzählst du ihm, weiß der Teufel, nichts Neues«, sagte Fliegenbein, aber sein Herz schlug schneller. »Im Übrigen kann ich dich beruhigen. Ich ...«, er setzte eine wichtige Miene auf, »ich werde ihm noch heute berichten. Mein Homunkulus-Ehrenwort. Ich muss mir vorher nur noch die Karte ansehen. Die Karte des Jungen.«
Der Rabe legte den Kopf schief. »Die Karte? Wieso das?«
Fliegenbein verzog spöttisch das Gesicht. »Das verstehst du nicht, Krummschnabel. Und jetzt mach, dass du fortkommst. Wenn das Koboldmädchen dich sieht, wird sie mir nicht noch einmal glauben, dass wir nichts miteinander zu tun haben.«
»Na gut!« Der Rabe fing sich noch eine Raupe und schlug mit den Flügeln. »Aber ich folge euch. Ich behalte dich im Auge. Und du machst deinen Bericht.«
Fliegenbein sah dem Raben nach, bis er zwischen den Wipfeln der Palmen verschwunden war. Dann lief er hastig zu Bens Rucksack, zog die Karte heraus und breitete sie aus. Ja, er würde Bericht erstatten. Sofort. Aber es würde ein besonderer Bericht sein, ein
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