Drachenreiter
ganz besonderer. Suchend blickte er über Meere und Berge, bis sein Blick auf eine große hellbraune Fläche fiel. Er wusste, was Braun bedeutete. Ben hatte ihm genau erklärt, wie man das Wunderding von Karte lesen konnte. Braun hieß: kein Wasser. Weit und breit kein Tropfen Wasser. Und genau das suchte Fliegenbein.
»Ich bin es leid!«, murmelte er. »Fürwahr, ich bin es leid, sein Spion zu sein. In die Wüste werde ich ihn schicken. Jawohl, in die größte Wüste, die ich finden kann!«
Nur die Wüste konnte Nesselbrand noch eine Weile von dem kleinen Menschen und dem Silberdrachen fern halten. Wenn sein Meister nur den unfreundlichen Kobold hätte fressen wollen, gut - geschenkt! Aber nicht den Menschen. Nein. Dabei würde er, Fliegenbein, ihm nicht helfen. Er hatte zugesehen, wie Nesselbrand seine Brüder verschlang. Er hatte zugesehen, wie er ihren Schöpfer verschlang. Aber den kleinen Menschen sollte Nesselbrand nicht zwischen die gierigen Zähne bekommen. Niemals. Fliegenbein prägte sich genau ein, wo die große Wüste lag. Und dann lief er tiefer in die Schlucht hinein, weit weg vom Versteck des blauen Dschinns, weit weg von dem schlafenden Drachen. Er beugte sich über den Fluss und erstattete seinem Meister Bericht.
DER VERSCHWUNDENE MOND
Drei Tage und drei lange Nächte später stand Lung am Ufer des Arabischen Meeres und wartete auf die Nacht. Seine Schuppen waren staubig und mit gelbem Sand bedeckt. Viel Zeit war vergangen, seit er aus dem Tal im Norden aufgebrochen war um sich auf die Suche nach dem Saum des Himmels zu machen. Endlos weit weg schien ihm seine Stadt und endlos war das Meer, das dunkel vor ihm lag. Lung sah hinauf zum Himmel. Das letzte Licht verschwand, als verschluckten es die Wellen, und nur der Mond hing rund und silberhell über dem Wasser. Viel Zeit blieb noch bis zum Neumond, zum schwarzen Mond, aber würde er den Saum des Himmels bis dahin gefunden haben?
»Zehn Tage noch«, sagte Ben.
Er stand neben dem Drachen im Sand und blickte genau wie Lung dorthin, wo Wasser und Himmel miteinander verschmolzen und wo, verborgen hinter Wellen und Bergen, das Ziel ihrer Reise lag. »In spätestens zehn Tagen müssten wir an dem Palast sein, den ich in Asifs Auge gesehen hab. Dann ist es bestimmt nicht mehr weit.«
Lung nickte. Er sah den Jungen an. »Hast du Heimweh?« Ben schüttelte den Kopf und lehnte sich an die warmen Schuppen des Drachen. »Nein«, antwortete er. »Ich könnte immer so weiterfliegen.«
»Ich habe auch kein Heimweh«, sagte Lung. »Aber ich wüsste gern, wie es den anderen geht. Ob die Menschen schon näher gekommen sind. Ob der Lärm ihrer Maschinen schon über die dunklen Berge schallt. Aber leider«, er seufzte und blickte wieder hinaus aufs Meer, wo das Mondlicht in silbernen Pfützen zwischen den Wellen schwamm. »Leider habe ich nicht tausend Augen wie Asif. Wer weiß, vielleicht finde ich den Saum des Himmels, wenn es für die anderen längst zu spät ist.«
»Ach was!« Ben streichelte dem Drachen zärtlich die silberne Flanke. »Du hast es doch jetzt schon so weit geschafft. Wenn wir das Meer überflogen haben, sind wir beinahe am Ziel.«
»Genau«, sagte Schwefelfell hinter ihnen. Sie war unterwegs gewesen um die Wasserflaschen zu füllen.
»Riech mal«, sagte sie und hielt Ben eine Hand voll stachliger Blätter unter die Nase. Ein schwerer, würziger Geruch stieg von ihnen auf. »Die Dinger piksen zwar in die Zunge, aber sie schmecken fast so gut, wie sie riechen. Wo sind die Rucksäcke?«
»Da.« Ben schob sie ihr hin. »Aber pass auf, dass du Fliegenbein nicht zerquetschst. Er schläft zwischen meinen Pullovern.«
»Ja, ja, ich brech ihm schon kein Beinchen ab«, brummte Schwefelfell, während sie die duftenden Blätter in ihrem Rucksack verstaute. Als sie sich über Bens Gepäck beugte, streckte Fliegenbein gähnend die Arme heraus. Er sah sich um und zog schnell den Kopf wieder ein.
»Was ist denn?«, fragte Ben überrascht.
»Wasser!«, antwortete der Homunkulus und verschwand bis zur Nasenspitze zwischen Bens sandigen Pullovern. »So viel Wasser macht mich nervös.«
»Tja, da sind wir uns ausnahmsweise mal einig«, meinte Schwefelfell und warf sich ihren Rucksack über die pelzige Schulter.
»Ich bin auch kein großer Wasserfreund. Aber da müssen wir nun mal rüber.«
»Überm Wasser weiß man nie, wer einen sieht«, murmelte Fliegenbein.
Erstaunt sah Ben auf ihn hinunter. »Wie meinst du das? Wer soll einen schon
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