Drachenreiter
zu verdanken, dass der schwarze Mond dich und deine beiden Freunde nicht ertränkt hat.« Sie senkte ihre spitze Schnauze auf Lungs Höhe. »Also, wo kommst du her? Und wo willst du hin? Einen wie dich habe ich seit dem Tag nicht mehr gesehen, an dem deine silbernen Verwandten bei ihrem Bad gestört wurden und aus meinem Reich verschwanden.«
Lung richtete sich kerzengerade auf. »Du weißt von dieser Geschichte?«, fragte er.
Die Schlange lächelte und räkelte den Riesenleib in den Wellen. »Ja, natürlich. Ich war sogar dabei.«
»Du warst dabei?« Lung machte einen Schritt zurück. Ein Knurren drang aus seiner Brust. »Dann warst du das Seeungeheuer! Du hast sie verjagt!«
Erschrocken schlang Schwefelfell ihre Arme um Ben.
»O nein! Nein!«, stöhnte sie. »Pass auf, jetzt frisst sie uns!«
Aber die Schlange blickte nur spöttisch auf Lung hinab. »Ich?«, zischte sie. »Unsinn. Ich jage nur Schiffe. Ein Drache war es. Ein Drache wie du, nur viel, viel größer, mit einem Panzer aus goldenen Schuppen.« Lung sah sie ungläubig an.
Die Schlange nickte. »Seine Augen waren rot wie der sterbende Mond, voll Gier und Mordlust.« Die Erinnerung wischte ihr das Lächeln von der spitzen Schnauze. »In jener Nacht«, erzählte sie, während das Meer ihren großen Leib schaukelte, »kamen deine Verwandten von den Bergen ans Meer, wie immer, wenn der Mond voll und rund am Himmel hing. Ich ließ mich mit meiner Schwester ganz nah an die Küste treiben, so nah, dass wir die Gesichter der Menschen erkennen konnten, die vor ihren Hütten saßen und auf die Drachen warteten. Wir verbargen unsere Leiber im Wasser um sie nicht zu ängstigen, denn Menschen fürchten, was sie nicht kennen, vor allem, wenn es größer ist als sie. Außerdem«, sie lächelte, »sind wir Schlangen nicht beliebt bei ihnen.«
Ben senkte verlegen den Kopf.
»Die Drachen«, fuhr die Schlange fort, »tauchten in die schäumenden Wellen des Meeres und es sah aus, als wären sie alle aus Mondlicht gemacht.« Sie sah Lung an. »Die Menschen am Ufer lächelten. Deine Art«, sie sah Lung an, »besänftigt den Zorn, den sie immer mit sich tragen. Ihr Drachen wischt ihre Traurigkeit fort. Deshalb nennen sie euch Glücksbringer. Aber in jener Nacht«, die Schlange zischte leise, »kam einer um das Glück zu jagen. Das Wasser schäumte um sein großes Maul, als er aus dem Meer auftauchte. Die Fische trieben tot auf den Wellen. Erschrocken breiteten die Drachen die nassen Flügel aus, aber der Mond war plötzlich verdeckt von Schwärmen schwarzer Vögel. Keine Wolke kann dem Mond seine Kraft rauben, und sei sie auch noch so schwarz und schwer. Aber diese Vögel konnten es. Ihre dunklen Federn schluckten das Mondlicht, und sosehr die Drachen auch mit den Flügeln schlugen, sie konnten nicht fliehen. Sie wären alle verloren gewesen. Da griffen meine Schwester und ich das Ungeheuer an.« Die Seeschlange schwieg für einen Augenblick.
»Ihr habt ihn getötet?«, fragte Lung.
»Wir haben es versucht«, antwortete die Schlange. »Wir wanden uns um seinen Panzer und verschlossen ihm das Maul mit unseren Leibern. Aber seine goldenen Schuppen waren kalt wie Eis und brannten sich in unsere Körper. Nicht lange, und wir mussten ihn loslassen, doch unser Angriff auf das Ungeheuer ließ die schwarzen Vögel auseinander stieben und das Mondlicht gab den Drachen Kraft zu fliehen. Starr vor Schreck und Trauer standen die Menschen am Ufer und blickten ihnen nach, wie sie dem Lauf des Indus folgten und in der Dunkelheit verschwanden. Das Ungeheuer tauchte unter in den Wellen, und sosehr meine Schwester und ich es auch in den tiefsten Tiefen suchten, wir fanden keine Spur von ihm. Die schwarzen Vögel flogen krächzend davon. Aber die Drachen kehrten nicht zurück, obwohl die Menschen noch in vielen Vollmondnächten wartend am Ufer standen.«
Als die Schlange geendet hatte, sprach keiner ein Wort. Lung blickte hinauf zum schwarzen Himmel.
»Du hast nie wieder von ihnen gehört?«, fragte er.
Die Schlange wiegte sich hin und her. »Oh, es gibt viele Geschichten. Meermänner und Nixen, die oft den Indus hinaufschwimmen, berichten von einem Tal weit, weit oben in den Bergen, auf dessen Grund manchmal der Schatten eines fliegenden Drachen fällt. Auch wird erzählt, dass Kobolde den Drachen geholfen haben sich zu verbergen. Wenn ich deine Begleiterin sehe«, sie blickte Schwefelfell an, »ist das gar nicht unwahrscheinlich, nicht wahr?«
Lung antwortete nicht. Tief in
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