Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
Aufmerksamkeit wieder dem zu, was ihm persönlich bevorstand.
Unter ihm waren jetzt der Wald und das offene Gelände, das Jim auf dem Weg zu dem Gehölz um Carolinus' Haus überflogen hatte, einer weiten, trostlosen Heidelandschaft gewichen, unterbrochen von Gruppen kleiner Bäume und von einigen armseligen Hütten, die anscheinend aus Reisigbündeln gefügt waren und deren Dächer man mit Heu oder Gras gedeckt hatte. Die Bewohner dieser Hütten rannten, sobald sie außerhalb ihrer Behausungen überrascht wurden, beim Anblick des über ihnen fliegenden Jim ausnahmslos in ein Versteck. Anstelle von normaler Kleidung trugen sie größtenteils Felle, und sie schienen keine sehr anziehenden Leute zu sein.
Während Jim seinen Flug fortsetzte, wurden diese menschlichen Siedlungen jedoch immer spärlicher und verschwanden schließlich ganz und gar. Das Heideland ging nun zu Ende, und der Wald, auf den ihn Smrgol hingewiesen hatte, war nahe. Anders als der Nadelwald um das Klingelnde Wasser bestand hier der Bewuchs anscheinend aus Laubbäumen wie Eichen und Weiden. Sie alle schienen für die Jahreszeit seltsam entblättert, und ihre Zweige waren, von oben gesehen, knorrig und ineinander verstrickt, dadurch machte der Wald einen besonders abweisenden Eindruck; so, als sei er ein Ort, der nicht leicht jemanden wieder hinauslassen würde, der einmal zu Fuß hineingewandert war. Jim verspürte einen Stich von Selbstgefälligkeit angesichts der Tatsache, daß er fähig war, sicher darüber hinzusegeln.
In der Tat vermittelte ihm der Rausch, wieder in der Luft zu sein, ein Hochgefühl, das den Umständen eigentlich nicht angemessen war. Er hatte keine wirkliche Vorstellung von dem, was ihm bevorstand; aber das schien seiner Fröhlichkeit keinen Abbruch zu tun. Er hatte zum Verhaßten Turm ziehen wollen, und Carolinus war dagegen gewesen. Und jetzt war er, auf Carolinus' Anweisung, doch auf dem Weg dorthin. Was immer der Grund für seine Richtung war, das, was er im Augenblick tat, erschien ihm besonders richtig …
Jetzt war das jenseitige Ende des Waldes fast genau unter ihm. Dahinter gab es nichts als das grüne Sumpfland, das sich bis zu einer dunstigen, intensiven blauen Linie erstreckte, die das offene Meer sein mußte. Die Sümpfe waren ein ausgedehntes Gebiet, wie er sah, eine üppig-grüne, tiefliegende Wildnis aus Land und Wasser. Sie erfüllte die Landschaft bis zum Horizont in allen Richtungen, außer direkt vor ihm, wo sich das Blau des Meeres zeigte.
Er suchte mit seinen weitsichtigen Drachenaugen die Gegend nach irgendeinem Gebäude ab, das der Verhaßte Turm sein konnte, aber nichts dergleichen war zu erkennen. Die Brise, die aus der Gegenrichtung geweht hatte, flaute abrupt ab, und ein neuer, leichter Wind begann, ihn von hinten voranzutreiben. Er streckte ihm die Flügel entgegen, ließ sich von ihm tragen, glitt in einem flachen Winkel die unsichtbare Luftfläche abwärts, als sei sie eine meilenlange Zauberrutschbahn. Das Sumpfland hob sich ihm entgegen: schwammige, dicht mit Gras bedeckte Erde, in Dämme und Inseln zerrissen von blauem Wasser, das seinerseits in den seichteren Buchten und Teichen von hohem Seetang und Schilf erstickt wurde.
Schwärme von Wasservögeln erhoben sich da und dort wie wirbelnder Rauch von einem Teich, trieben ein Stück und ließen sich ein paar hundert Meter entfernt auf der Oberfläche eines anderen nieder. Ihre Schreie, durch die Entfernung gedämpft, drangen leise an Jims überempfindliche Ohren.
Weiter vorne härmten sich nach Westen zu, über der Küstenlinie, schwere Wolken auf.
Jim segelte weiter über das stille Wasser und das weiche Gras, den Geruch von weit entferntem Salzwasser in der Nase. Er blickte besorgt auf die sinkende Sonne, die gerade hinter der dicken Wolkenbank verschwinden wollte, die er erst jetzt bemerkt hatte. Binnen kurzem würde die Nacht hereinbrechen. Er war hungrig und hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte, sobald es dunkel war. Sicher konnte er nicht in der Luft bleiben. Es wäre nicht angenehm, mit voller Wucht gegen den Boden zu fliegen, weil er nicht sehen konnte, wohin es ging. Ja, es wäre auch nicht angenehm, mit voller Wucht in eine der Buchten oder einen Teich zu fliegen. Er konnte landen und zu Fuß weitergehen – aber wahrscheinlich würde das in sumpfigem Gelände schwierig sein.
Das Vernünftigste wäre, dachte er, als die Sonne unterging, die Nacht auf einem der kleinen Landflecken dort unten zu verbringen. Nicht,
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