Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
Insektenglieder erhaschen, die emsig arbeiteten. Nach einer Sekunde hörten sie auf, ein Augenblick der Stille trat ein, und dann schoß ein seltsam aussehender schwarzer Käfer halb aus dem Loch, hielt inne und blickte zu ihnen auf. Seine Vorderbeine strampelten in der Luft, und eine kleine, quiekende Stimme, wie eine gesprungene Grammophonplatte, die sich über eine schlechte Telefonverbindung aus weiter Ferne immer wiederholt, drang an Jims Ohr.
»Zum Verhaßten Turm gegangen. Zum Verhaßten Turm gegangen. Zum Verhaßten Turm gegangen.«
Der Wachkäfer hörte abrupt auf, verschwand hastig und begann im Loch zu wühlen und es wieder zuzuschütten.
»Nicht so schnell!« fauchte Carolinus. »Habe ich dir die Erlaubnis gegeben zu verschwinden? Man kann auch noch etwas anderes werden als ein Wachkäfer. Da gibt es zum Beispiel Blindschleichen. Kommt sofort zurück, Mylord!«
Erneut sprühte der Sand in die Luft. Der Wachkäfer tauchte wieder auf, seine Vorderbeine fuchtelten in höchster Erregung umher.
»Nun, nun – sprich schon!« sagte Carolinus. »Was ist mit unserem jungen Freund hier?«
»Gefährten!« quietschte der Wachkäfer. »Gefährten! Gefährten! Gefährten!«
Er tauchte wieder weg. Der Sand begann sich zu glätten; und ein paar Sekunden später sah der Boden aus, als wäre er nie berührt worden.
»Hmm«, murmelte Carolinus nachdenklich. »Der Verhaßte Turm also, dahin hat euer Bryagh die Jungfrau gebracht.«
Smrgol räusperte sich geräuschvoll.
»Das ist diese Turmruine im Westen, in den Sümpfen, nicht wahr, Zauberer?« fragte er. »Ach, daher stammte doch die Mutter meines Unholds von Gormely Keep, wie die Sage erzählt. Von dort wurde doch auch vor fast fünfhundert Jahren die Seuche auf die Teichdrachen losgelassen.«
Carolinus nickte, seine Augen waren von den dicken weißen Brauen überschattet.
»Das ist ein alter, magischer Ort«, antwortete er. »Schwarze Magie. Diese Stellen sind wie alte Wunden auf dem Land, sie verschorfen eine Zeitlang, aber sobald das Gleichgewicht von Zufall und Geschichte gestört wird, brechen sie auf und ergießen neues Übel.«
Grüblerisch sprach er weiter, mehr zu sich selbst als zu Jim und dem älteren Drachen.
»Ich habe es schon befürchtet,« sagte er, »die Dunklen Mächte haben keine Zeit verloren. Euer Bryagh gehört jetzt zu ihnen – selbst wenn das vorher nicht der Fall war. Sie werden ihn wohl veranlaßt haben, die Maid dorthin zu bringen, als Geisel und als Waffe gegen Gorbash. Es ist gut, daß ich diesen Wachkäfer gerade eben hart angefaßt und die ganze Information bekommen habe.«
»Die ganze Information?« wiederholte Jim verblüfft.
»Richtig – die ganze Information.« Carolinus wandte sich gebieterisch an ihn. »Jetzt, da Ihr wißt, daß man Eure Dame dorthin gebracht hat, seid Ihr zweifellos auf dem Sprung, ihr zu Hilfe zu eilen, nicht wahr?«
»Natürlich«, sagte Jim.
»Natürlich nicht!« schnauzte Carolinus ihn an. »Habt Ihr denn den zweiten Teil der Botschaft des Wachkäfers nicht gehört? ›Gefährten!‹ Ihr müßt Gefährten haben, ehe Ihr Euch in die Nähe des Turms wagen könnt. Sonst seid Ihr und Eure Angela dem Untergang geweiht.«
»Wer ist diese Angela?« brummte Smrgol verwirrt.
»Mylady Angela, Drache«, sagte Carolinus. »Der weibliche Georg, den Bryagh in den Turm gebracht hat.«
»Ach so«, sagte Smrgol ein wenig enttäuscht. »Also doch keine Prinzessin. Na, man kann nicht alles haben. Aber warum will Gorbash sie denn retten? Laßt doch die anderen Georg retten, was gerettet werden muß …«
»Ich liebe sie«, sagte Jim heftig.
»Liebst sie? Mein Junge«, grollte Smrgol entsetzt, »ich habe mir in der Vergangenheit eine ganze Menge deiner seltsamen Genossen gefallen lassen – diesen Wolf und andere. Aber sich in einen Georg zu verlieben! Es gibt eine Grenze dessen, was ein anständiger Drache …«
»Komm, komm, Smrgol!« sagte Carolinus ungeduldig. »Diese Angelegenheit ist ein äußerst kompliziertes Räderwerk.«
»Räder …? Ich verstehe nicht, Zauberer.«
»Es ist eine komplexe Situation, abhängig von einer großen Zahl von Faktoren, offensichtlichen und verborgenen. Wie bei jeder Verkettung von Ereignissen, gleichgültig, wie unmittelbar sie sein mag, ist das Scheinbare nicht immer das Wirkliche. Kurzum, dein Großneffe Gorbash ist auch, in einem anderen Sinne, ein Gentleman namens Sir James von Riveroak, verpflichtet, diese Dame vor den Dunklen Mächten zu retten, die jetzt Bryagh,
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