Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
sollte, Brian und die übrigen zu finden. Dann fiel ihm ein, daß er ihnen schon versprochen hatte, zuerst beim Sturm auf die Burg von Hugh de Bois mitzuhelfen. Seine Meinungsänderung wäre wahrscheinlich für die Truppe Entschuldigung genug, sich von jeder Verpflichtung, ihm bei Angies Rettung zu helfen, frei zu fühlen. Selbst wenn dem nicht so sein sollte, er erkannte jetzt, wie weit er davon entfernt war, seine seltsamen neuen Freunde zu verstehen. Alle von ihnen, sogar die Menschen, dachten und handelten nach Maximen, die von den seinen völlig verschieden waren. Es war ein ernüchterndes Beispiel dafür, wie man dieselbe Sprache wie ein anderer sprechen konnte, ohne auf derselben geistigen Wellenlänge zu sein.
Er mußte sich jetzt darüber klar werden, wie seine mittelalterlichen Freunde dachten und fühlten, bevor er bei ihnen und in ihrer Welt noch mehr Fehler machte; und die naheliegendste Person, die ihm dabei helfen konnte, war Carolinus.
Er hob den Kopf. Es hatte beinahe zu regnen aufgehört, während seiner Landung und dieser schweren Gedanken. Ja, sogar die Wolken schienen sich ein wenig zu lichten. Er glaubte hinter einem Wolkenfleck einen milchigen Schein zu sehen. Das konnte das Mondlicht sein, das sich bemühte, durch die Wolkendecke zu dringen.
Wenn der Mond herauskam – oder sogar, dachte er jetzt, wenn er es nicht tat –, müßte er eigentlich fähig sein, sobald er in der Luft war, das Klingelnde Wasser wiederzufinden. Seine Flugmuskeln, die ein wenig lahm geworden waren, als er versucht hatte, die Echos zu deuten, die er vom Boden herauf hörte, schienen nun wieder ausgeruht – wieder ein Beispiel für die erstaunliche Kraft und Ausdauer der Drachen. Es war zu schade, daß die Drachen nicht von kompetenten Physiologen und Zoologen untersucht werden konnten, um herauszufinden, woher sie diese physischen Gaben hatten.
Jim brach auf mit einem Sprung in die jetzt regenlose Luft – und wenig später, während er in eine Richtung segelte, in der er hoffte, Carolinus' Häuschen zu finden, kam der Mond heraus und enthüllte die silbrigschwarze Landschaft etwa neunhundert Fuß unter ihm. Fünf Minuten später war der Himmel beinahe klar, und er befand sich auf einer langen Gleitbahn zu den Wäldern, in denen sich das Klingelnde Wasser befand, das er jetzt, weniger als zwei Meilen entfernt, vor sich sah. Er war in seiner Schätzung nur fünf Kompaß-Striche von der Richtung abgelegen.
19
Z WISCHEN F LECKEN VON WEISSEM Mondlicht und tiefschwarzen Schatten landete Jim mit dumpfem Schlag auf dem Kiesweg vor Carolinus' Haustür. Weit entfernt im Wald gluckste irgendein schlaftrunkener Vogel so laut, daß Jims Drachenohren es erfaßten. Sonst herrschte völlige Stille.
Jim zögerte. Aus den Fenstern des Hauses kam nicht der kleinste Lichtschein; und jetzt, da er hier war, widerstrebte es ihm, den Zauberer zu wecken.
Während er noch unentschlossen dastand, begann in ihm die Überzeugung aufzukommen, daß das Haus nicht nur für die Nacht verschlossen, sondern unbewohnt war. In der kleinen Lichtung herrschte eine Atmosphäre von Verlassenheit und Leere.
»Da ist er also!« brummte eine Stimme.
Jim wirbelte herum.
»Aragh!« rief er.
Der Wolf trat aus den Schatten am Rande der Lichtung. Jim war so froh, ihn zu sehen, daß er ihn hätte umarmen mögen. Hinter dem hageren Wesen mit den funkelnden Augen erschien eine größere, vertraute Drachengestalt.
»Smrgol!« sagte Jim.
Er hatte bis zu diesem Augenblick nicht erkannt, was er mittlerweile für diese beiden empfand, und für Brian und die anderen. Es wurde ihm klar, daß der Abstand zwischen unterschiedlichen Lebensformen in dieser Welt nicht so groß war wie in der, die er verlassen hatte. Leben und Tod wohnten hier Tür an Tür; auch Liebe und Haß waren einander so nahe wie zwei Türen am Ende eines Korridors, und wenn man jemanden nicht innerhalb kurzer Zeit hassen lernte, so lernte man ihn lieben.
»Was tut ihr beide hier?« fragte er.
»Auf dich warten«, knurrte Aragh.
»Auf mich warten? Aber woher wußtet ihr denn, daß ich hierherkommen würde?«
»Der Zauberer wußte es«, sagte Smrgol. »Er ließ mich gestern durch einen Felsspatzen hierherrufen, der mir seine Botschaft brachte. ›Drache‹, sagte er, als ich hierherkam, ›James Eckert, den du als Gorbash kennst, und ich haben jeder eine lange Reise vor uns – allein. Wenn ich meine Reise antrete, werde ich euch alle beisammen finden, später. Wenn James auf seine
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