Drachenritter 02 - Der Drachenritter
Bernard«, antwortete der Fremde mit leisem Krächzen, »der einmal ein Mensch wie Ihr war, edler Ritter – und ein Ritter seid Ihr wohl, denn einen Geringeren würde Sir Raoul wohl kaum mit einer solchen Aufgabe betrauen. Ich habe diese Gestalt jetzt schon seit Jahren – und ich danke Gott im Himmel, daß Ihr mich im Dunkeln und nicht bei Tageslicht seht, denn ich ertrage es kaum selbst, mein Spiegelbild in einem Tümpel anzuschauen.«
»Schon gut«, sagte Jim, den die groteske Gestalt rührte. »Bringt uns einfach in die Burg hinein und zeigt uns, wo wir den Prinzen finden können. Deshalb seid Ihr doch gekommen, nicht wahr?«
»Jawohl!« antwortete die Gestalt. »Zwölf Jahre lang habe ich hier den braven Bediensteten gespielt und auf eine Gelegenheit gewartet, es Malvinne heimzuzahlen für das, was er meinem Herrn und dessen Familie angetan hat. Jetzt ist diese Gelegenheit gekommen, und ich würde eher darauf verzichten, ins Himmelreich zu kommen, falls ich darauf überhaupt hoffen kann, als sie mir entgehen zu lassen. Ich werde Euch nun in die Burg hineinbringen – das heißt, nur bis zum Eingang, denn der Zugang ist mir nicht gestattet. Dann werde ich Euch sagen, wo Ihr den erwähnten jungen Mann finden könnt. Von da an liegt es ganz bei Euch. Ich bitte Euch nur um eines.«
»Und das wäre?« fragte Jim.
»Daß mich keiner von Euch direkt anschaut, solange ich Euch führe«, antwortete die Gestalt. »Versprecht mir das, um der Heiligen Mutter Gottes willen.«
»Wir versprechen es«, sagte Jim.
Brian, Giles und Dafydd bekundeten halblaut ihre Zustimmung.
»So, jetzt habt Ihr unser Wort«, sagte Jim. »Aber wird man Euch nicht verdächtigen, wenn wir den Prinzen finden und befreien? Solltet Ihr nicht besser auf uns warten und mit uns von hier flüchten?«
Die Gestalt lachte krächzend und bitter auf.
»Wo in aller Welt sollte ich mich denn hinwenden?« antwortete das Wesen, das einmal Bernard gewesen war. »Selbst die heiligen Klostermönche würden mir die Tür vor der Nase zuschlagen. Selbst die Aussätzigen würden sich von mir abwenden. Nein, was geschehen muß, soll geschehen. Ich werde hierbleiben und darauf hoffen, daß sich mir vielleicht wieder einmal eine Gelegenheit bietet, es Malvinne heimzuzahlen.«
»Aber wenn man Euch verdächtigt, bloß verdächtigt«, sagte Jim, »könnte es sehr schwer für Euch werden.«
»Das ist mir egal«, krächzte Bernard. »Nach allem, was man mir bereits angetan hat, kann es nicht schlimmer werden. Und nun laßt uns aufbrechen, es ist noch ein gutes Stück Wegs, und es könnte sein, daß wir uns unterwegs verstecken müssen. Wäre ich allein, könnte ich direkt zur Burg gehen. Aber da wir so viele sind, würde man bestimmt auf uns aufmerksam werden.«
Er hob ungeduldig die Stimme.
»Und nun laßt uns gehen! Laßt uns um alles in der Welt endlich aufbrechen!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er kehrt und zwängte sich durch die schmale Lücke zwischen den Bäumen auf den breiteren Weg. Die anderen folgten ihm. Als sie alle auf dem Weg standen, stellte Bernard den Baum wieder an seinen Platz und verkleisterte die Schnittstelle mit Schlamm, den er mit Wasser aus der Gürtelflasche angerührt hatte. Anschließend richtete er sich auf, ging aber nicht sogleich los. Statt dessen wandte er sich abermals an seine Begleiter.
»Der Pfad, den wir einschlagen werden«, sagte er, »ist nicht der kürzeste Weg zur Burg, dafür aber der sicherste, der durch dieses Waldlabyrinth führt. Ihr werdet feststellen, daß wir uns stets rechts halten werden. Auf diese Weise werden wir schließlich zum Park des Palastgeländes gelangen. Wenn Ihr es schafft, den Prinzen zu befreien und unversehrt zu flüchten, so dringt wieder an der gleichen Stelle in den Wald ein und haltet Euch stets links. Dann werdet Ihr irgendwann am Fuße des Hügels herauskommen. Von da an müßt Ihr auf Gott vertrauen; denn ich kann Euch dann nicht mehr helfen.« Es war eine gehörige Strecke bis zum inneren Waldrand. Bernard wies ihnen jedoch in so zügigem Tempo und mit so großer Sicherheit den Weg, daß sie nicht lange brauchten.
Schließlich hatten sie den Park von Malvinnes Burg erreicht. Der unvermittelte Übergang vom Wald zum Park war geradezu unheimlich.
Auf einmal war die Nacht warm und lieblich. Der Mond, der erst seit wenigen Tagen wieder im Abnehmen begriffen war, beleuchtete verschiedene Laubengänge, Grasflächen, Blumenbeete und sorgfältig gerechte Kieswege, auf denen sie sich
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